(dgpd Augsburg) Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) e.V. mahnt an, dass bei dem Verwirrspiel öffentlicher Bekundungen zu Fragen gesetzlicher Regelungen von Patientenverfügungen und Sterbehilfe nicht die unterschiedliche Besetzung unterschiedlicher Kommissionen, Ethikratgeber, Konferenzen und Expertengremien den Ausschlag geben sollte, sondern dass endlich verfassungsrechtliche Grundsätze zu umfassenden Gesetzes-Initiativen führen müssen, die keine Relativierung von Art. 1 GG zulassen.
Bestärkt sieht sich die DGHS in verschiedenen Stellungnahmen von Verfassungsexperten. "Das Verfassungsrecht und Art. 1 GG stehen über der Meinungsmache, über Ministern und über Positionen des Bundesgerichtshofs oder deren früheren Richtern" - so DGHS-Präsident Karlheinz Wichmann (Bremen).
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts stellte klar: "Die Menschenwürde ist einer Relativierung, einer Einschränkung oder Abwägung mit anderen öffentlichen oder privaten Belangen nicht zugänglich." (Hans-Jürgen Papier, DIE ZEIT 13.05.2004 "Das Grundgesetz ist eindeutig. Die Menschenwürde gilt absolut").
Stattdessen verzögern Parteien, Politiker und sich gegenseitig widersprechende Kommissionen den Verfassungsauftrag. Wichmann: "Der Gesetzgeber hätte die Pflicht, die verfassungsrechtlich unantastbare Menschenwürde zu schützen. Die Missstände im Gesundheitswesen und Sterbealltag zeigen, dass er seiner Aufgabe nicht gerecht wird." Der vor Jahren bereits von der Bundeszentrale für politische Bildung angebotene Grundgesetz-Kommentar erklärt: "Der Mensch darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiert (BVerfGE 27, 6; 50, 175; 87, 228) - Abs. 1 schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird (BVerfGE 49, 298). I.d.R. kommt es entscheidend darauf an, was der Betroffene empfindet."
Eine sektorale Beschränkung der Diskussion auf die Frage, unter welchen Umständen Patientenverfügungen künftig rechtsverbindlich seien, lehnt die DGHS ab. "Es geht ums Ganze", so Wichmann. "Wenn Politiker in anderen Bereichen der Politik auf ein gesamtgesellschaftliches Verständnis drängen und ganzheitliches Denken anmahnen, so müssen sie sich auch beim Thema der Sterbehilfe und -begleitung mit dieser Latte messen lassen." Die DGHS hat abertausende an Mitgliedern, die alters- oder krankheitsbedingt nicht erst darauf warten können, bis irgendwann einmal die Palliativmedizin, Hospizbewegung und Schmerztherapie flächendeckend angeboten werden. Weitere tausende wollen nicht warten, bis sie selbst nicht mehr äußerungsfähig sind und dann eine Patientenverfügung oder Betreuungsverfügung greift.
Wichmann: ""Wir wollen selbst entscheiden, wann wir einen für uns als unwürdig empfundenen Sterbeprozess abzukürzen gedenken!" - diese Aussage höre ich immer wieder an die Adresse der Parteien gerichtet".
Daran, dass der Gesetzgeber breiten Spielraum hätte, besteht kein Zweifel. Der Bonner Verfassungsrechtler Dr. Tobias Linke klärt auf: "In extremen Ausnahmefällen kann der Gesetzgeber die aktive Sterbehilfe durch einen Dritten auf das ausdrückliche Verlangen des Betroffenen erlauben - wenn der Kranke beispielsweise unter schwersten Schmerzen leidet, die auch medikamentös nicht in den Griff zu bekommen sind, er über sämtliche Optionen aufgeklärt wurde, aber körperlich nicht mehr dazu in der Lage ist, sein Leben selbst zu beenden. Die staatliche Schutzpflicht für das Leben tritt dann hinter der Selbstbestimmung des Betroffenen zurück". Analog der Mainzer Verfassungsrechtler Prof. Dr. Friedhelm Hufen: "Da dem Gesetzgeber aber beim Schutz des Lebens ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, wäre er nicht gehindert, die Strafbarkeit konsentierter aktiver Sterbehilfe für solche - strikt eingegrenzten - Fälle aufzuheben, in denen zum Beispiel ein Todkranker sie ohne äußeren Druck und bei vollem Bewusstsein verlangt." (NJW, Heft 12/2001, S. 855).
Stattdessen kommt die von der Bundesgesundheitskonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe "Patientenrechte in Deutschland: Fortentwicklungsbedarf und Fortentwicklungsmöglichkeiten" im Abschlussbericht der Unterarbeitsgruppe "Verbesserung der Transparenz im Gesundheitswesen" zum Ergebnis, dass nicht einmal gesetzgeberischer Handlungsbedarf zur Regelung der Patientenverfügung bestünde (ZRP 2002, Heft 7, S. 297). Die Bayerische Justizministerin Dr. Beate Merk appelliert hingegen am 27.09.2004 an die Bundesjustizministerin, schnellstmöglich die Patientenverfügung gesetzlich zu regeln. Die nach dem früheren BGH-Richter Klaus Kutzer benannte "Kutzer-Kommission" sieht nach dem BGH-Entscheid vom 17.03.2003 (XII ZB 2/03) gesetzlichen Handlungsbedarf bis zur Regelung der Unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c StGB) bei Suizid (S.13 des Berichts "Patientenautonomie am Lebensende"); dem widerspricht wieder der Tenor der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin, die eine Patientenverfügung in ihrer Bedeutung stärker eingrenzen möchte als dies bis heute herrschende Rechtsmeinung ist. Letzterer widerspricht wieder das Expertenvotum der Bioethik-Kommission um Justizminister Mertin (Rheinland-Pfalz).
DGHS-Präsident Wichmann: "Es hat kein Jahr der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben, in dem es zu diesen existentiellen Fragen nicht verwirrender zuging als im Jahr 2004. Unter diesen Umständen wird die größte Partei, die der Nichtwähler, noch mehr Anhänger gewinnen. Denn auch die Rechtspolitik ist nicht mehr verlässlich und arbeitet nicht auf langfristig tragfähige Gesetze hin."
Welches Gesetz auch immer kommen mag: Die DGHS bereitet sich auf eine verfassungsrechtliche Prüfung vor.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) setzt sich mit zahlreichen Freunden und Förderern für das Recht auf ein wirklich selbstbestimmtes Sterben ein.