(dgpd Augsburg) Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) hat sich ein "Runder Tisch" zusammengefunden, der sich mit den existenziellen Fragen am Lebensende befasste. Die Teilnehmer haben sich auf den folgenden Resolutionstext geeinigt, den wir Ihnen hiermit zur Kenntnis geben möchten. Der Text wurde in verschiedenen Zeitungen (u.a. SZ, 18.11.03, Die Zeit, 20.11.03, FAZ, 25.11.03) als Anzeige mit einer Liste von Erstunterzeichnern veröffentlicht.
Resolution "Selbstbestimmung am Lebensende"
Die öffentliche Diskussion um ein humanes, menschenwürdiges Sterben wird - wenn überhaupt - weitgehend einseitig, vereinfachend und ideologisch geführt. Kennzeichnend sind Tabuisierungen, Idealisierungen, Ignoranz, unangebrachte Vergangenheitsbezüge und ein Schwarz-Weiß-Denken, das die Nöte der Sterbenden nicht ausreichend berücksichtigt. Im Grenzbereich zwischen menschlichem Leben und Sterben gibt es aber Situationen, auf die nur individuell geantwortet werden kann. Wir fordern alle gesellschaftlich relevanten Gruppen auf, sich dieser dringend nötigen Diskussion endlich ohne Schönfärberei und Scheuklappen zu stellen.
Unsere Position ist:
Erwachsene mündige Patientinnen und Patienten sind autonom auch in Bezug auf ihr Lebensende. Sie müssen auch in dieser Phase ihres Lebens das Recht auf Selbstbestimmung behalten.
Der Anspruch, über das eigene Leben zu verfügen, entspricht wichtigen Traditionen der europäischen Geistesgeschichte. Er ist vereinbar mit unterschiedlichen persönlich verantworteten Weltanschauungen, religiösen Überzeugungen und mit dem Ethikverständnis zahlreicher Ärzte.
Christlicher Glaube und selbstbestimmtes Sterben sind miteinander vereinbar. Es erscheint auch aus christlicher Sicht möglich, im Grenzbereich des Sterbens, in dem die Menschenwürde auf dem Spiel steht, eine an strengen Kriterien orientierte Hilfe zum selbstbestimmten Sterben zu eröffnen.
Die Gleichsetzung unserer Überzeugung in Bezug auf aktive Sterbehilfe mit der "Nazi-Euthanasie" ist nicht nur polemisch, sondern - weit schlimmer - sie verharmlost die Gräueltaten der Nazis.
Ein körperlich unheilbar kranker Mensch muss die Möglichkeit haben, seinen Sterbewunsch in einem offenen Gespräch mit dem Arzt äußern zu können. Er darf damit nicht allein gelassen, psychiatrisiert oder ausgegrenzt werden. Eine solche Gesprächsmöglichkeit kann das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten verbessern.
Der Sterbewille eines Schwerstkranken muss respektiert werden. Bei qualvollen, unheilbaren Leidenszuständen muss es unterschiedliche zulässige Hilfsmöglichkeiten geben.
Palliativmedizin und mitmenschliche Sterbebegleitung dürfen nicht gegen andere Formen von Sterbehilfe wie ärztlich assistierter Suizid oder auch aktive Sterbehilfe ausgespielt werden. Palliativmedizinische Versorgung ist unverzichtbar und muss weiter verbessert und ausgebaut werden. Aber: Selbst bei bestmöglicher Versorgung kann sie nicht immer ein qualvolles Sterben verhindern.
Maßgeblich für eine Behandlung ist der Wille des Patienten. Ärzte sind bei Therapie-Entscheidungen am Lebensende oft großen Konflikten ausgesetzt. Sie müssen palliativmedizinisch besser ausgebildet und über die Rechtslage besser informiert werden. Für ihr Handeln brauchen sie eine sichere rechtliche Grundlage.
Eine Patientenverfügung ist Ausdruck des Willens des Betroffenen. Sie muss respektiert und unmittelbar wirksam werden. Wir fordern vom Gesetzgeber, entsprechende verbindliche Regelungen zu schaffen.
Ärztlich assistierter Suizid kann in seltenen Fällen, die der Gesetzgeber regeln sollte, die gebotene Hilfe zum Sterben sein. Ein solcher Beistand ist dann weder "unärztlich" noch "unethisch" und beschädigt nicht das Vertrauen in die Ärzteschaft. Wir fordern die Standesvertreter zum Umdenken auf.
Mit der "terminalen Sedierung", bei der ein Patient davor bewahrt wird, ein qualvolles Ende bewusst mitzuerleben, steht ein in Deutschland bisher nur selten beschrittener Weg offen, ein humanes Sterben unterhalb der Schwelle zur aktiven Sterbehilfe zu ermöglichen. Sie sollte sterbenden Patienten verstärkt angeboten werden.
In seltenen, klar umgrenzten Ausnahmefällen sollte auch aktive Sterbehilfe auf Verlangen eines unheilbar Kranken, dessen Leidenszustände nicht ausreichend gelindert werden können, nicht ausgeklammert werden. Wir fordern den Gesetzgeber auf, Möglichkeiten zu schaffen, aktive Sterbehilfe in diesen Fällen juristisch straffrei zu stellen.
Verfasser:
Prof. Dr. Dieter Birnbacher, Karl-Heinz Blessing, Dr. Friedhelm Decher, Pfarrer Ulrich Fritsche, Dr. med. Martin Klein, Prof. Dr. Gabriele Wolfslast
Erstunterzeichner:
Kurt Barthel, Christiane Böhm, Priv.-Doz. Dr. Joachim Bröcher, Dr. phil. Edgar Dahl, Prof. Dr. Volker Gerhardt, Walter Giller, Dr. Margit Hasinger, Bernward Koch, Max Lorenzen, Heike Mundzeck, Prof. Dr. Lothar Knopp, Prof. Dr. Gerard Radnitzky, Karl-Heinz Schramm, Priv.-Doz. Dr. med. Johann F. Spittler, Dr. med. Johannes Thiemann, Nadja Tiller
V.i.S.d.P: Karl-Heinz Blessing, c/o DGHS e.V., Lange Gasse 2-4, 86152 Augsburg
Eine Initiative der DGHS.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40 000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein ... damit das Leben bis zuletzt human bleibt.