Offenlegung unerwünscht. Wer die europäische Debatte über aktive Sterbehilfe verhindern will, verweigert sich der Transparenz. Grauzonen-Sedierung als Alternative?

(dgpd Augsburg) Kaum, dass sich die Parlamentarische Versammlung mit dem Thema Sterbehilfe befasst, erhebt sich ein deutscher Schrei der Entrüstung. Reflexartig wird wieder einmal der Untergang des Abendlandes beschworen, ohne genauer hinzusehen. Kann es sein, dass diejenigen, die die ersten Diskussionsansätze am liebsten im Keim ersticken würden, kein Interesse an einem offenen Gespräch, an Transparenz haben?

Bericht von Dick Marty

In dem Bericht des Schweizer Liberalen Dick Marty geht es keineswegs um eine "Legalisierung der Euthanasie". Vielmehr wird den Regierungen zunächst einmal empfohlen, sich dem Thema (auch der aktiven) Sterbehilfe zuzuwenden, Daten zu erheben und die Praxis im eigenen Land zu prüfen. Deklariertes Ziel der Empfehlung von Dick Marty ist zunächst, eine breite gesellschaftliche Diskussion über diese existentiellen Fragen auf den nationalen Ebenen anzuregen und die Regierungen zu ermuntern, sich diesen Fragen zu stellen. 

Vorhandene Grauzonen - besonders in Deutschland

Auch in den europäischen Ländern - wie überall in der Welt - bereiten Ärzte dem von unheilbar kranken Menschen als sinnlos empfundenen Leiden ein Ende. Freilich meist nur in Grauzonen, denn gesetzliche Regelungen gibt es in den allerwenigsten Ländern. Martys Verdienst ist es, auf die damit verbundenen Missbrauchsgefahren hingewiesen zu haben: Der Verzicht auf eine Regelung schützt bei keiner Form der Sterbehilfe vor Missbrauch. Denn auch die Palliativmedizin ("Palliative Care") kann gegen den Patientenwillen missbraucht werden.

"Was gibt es denn Bedeutsames zu verbergen, dass offenbar maßgebliche Kräfte in Deutschland ein offenes Gespräch über die Praxis der Sterbehilfe scheuen wie der Teufel das Weihwasser?", fragt der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Rolf Knoll. Anscheinend will niemand wissen, ob jeder Patient, der hier und heute irgendeine Form der Sterbehilfe erhält, dies auch tatsächlich nachweislich selbst gewollt hat. Mit Ausnahme des ein oder anderen Staatsanwaltes scheint es niemanden zu interessieren, dass derzeit in Deutschland keine Kontrollen bei der (möglicherweise kostenbedingten und nicht etwa selbstbestimmten) Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen oder der Gabe von starken Morphinen bestehen.

Wer hat die "Lizenz zum Behandlungsabbruch"?

Die "LIZENZ ZUM BEHANDLUNGSABBRUCH" muss nach DGHS-Auffassung beim betroffenen Patienten bleiben.Niemand habe das Recht, einem todkranken oder sterbenden Menschen die Pflicht aufzuerlegen, sein Leben unter unerträglichen Qualen fortzusetzen, zumal wenn er selbst beharrlich den Wunsch geäußert habe, es zu beenden, heißt es in Martys Bericht. Warum hat man in Deutschland solche Angst davor, anzuerkennen, dass es schwerkranke Patienten gibt, denen genau das angetan wird? Warum hat Deutschland in der Ländervergleichsstudie, die einseitig gegen die Niederlande zitiert wird, nicht mitgewirkt? Warum fehlen gründliche statistische Untersuchungen in Deutschland zum Verhalten der Ärzte?

Warum will man nicht wahrhaben, dass es selbst bei bester schmerztherapeutischer Versorgung Patienten gibt, die einen grausamen und qualvollen Sterbeprozess gegen ihren Willen bis zum Ende durchleiden müssen? Mit welchem Recht wird der letzte verzweifelte Ausweg eines unheilbar Kranken in die Schweiz menschenverachtend als "Sterbetourismus" gegeißelt, ohne i.d.R. nach den Bedürfnissen und Wünschen dieser Menschen zu fragen? Die meisten dieser Patienten hätten es sicher vorgezogen, auf die - oft beschwerliche - Reise zu verzichten und wären stattdessen lieber in Deutschland im eigenen Bett und umgeben von nahe stehenden Menschen gestorben. Wer kontrolliert die Sterbehilfepraxis in deutschen Sterbehäusern (stationären Hospizen), die auch eine aktive indirekte Sterbehilfe und "terminale Sedierung" im Angebot haben?

Selbstbestimmung und Patientenautonomie als Gradmesser

Die DGHS plädiert für eine gesetzliche Verankerung des Selbstbestimmungsrechtes von Patienten auf breiter Ebene. Der frühere Intendant eines Schweizer Rundfunks, Andreas Blum, erläuterte am 19. November im Bayerischen Fernsehen: "Was in Deutschland und in praktisch allen europäischen Ländern mit Ausnahme von Holland und Belgien verboten ist, ist in der Schweiz erlaubt, nämlich die Beihilfe zum Suizid. Wie es das Wort sagt, meint es die Hilfe einem Menschen gegenüber, der autonom sich entschlossen hat, in Frieden und in Würde aus diesem Leben zu geben."

"Grauzonen-Sedierung" als Alternative gegen "Dammbruch"!

So wichtig eine Verbesserung der patienten- (und nicht geldbeutel-)orientierten Palliativmedizin in Deutschland ist und von der DGHS unterstützt wird, so wichtig ist der Respekt vor Würde und Selbstbestimmung von denjenigen Patienten, die z.B. n i c h t mit "Palliative Care", sondern schneller durch Suizid(beihilfe) oder durch aktive direkte Sterbehilfe sterben möchten. Unter engen Voraussetzungen sollte auch eine aktive direkte Sterbehilfe europaweit möglich sein: gesetzlich erlaubt; damit Ärzte nicht heimlich ihrem Gewissen folgen, damit Patienten offen mit ihrem Arzt darüber reden können, damit diese Offenheit auch zu mehr Gelassenheit im Umgang mit diesem sensiblen Thema führt.

Die vermeintliche "Alternative" zur aktiven Sterbehilfe, eine bessere Schmerztherapie und Palliativ-Behandlung Sterbender, ist nur eine scheinbare Alternative und erleichtert einen Dammbruch mit Grauzonen-Tendenzen: Denn 1. ist Schmerztherapie als "indirekte Sterbehilfe"  a u c h  eine Form der  a k t i v e n  Sterbehilfe (unterteilt in aktive direkte und aktive indirekte Sterbehilfe; vgl. juristische Fachliteratur); und 2. ist diese Palliativ-Euthanasie (auch als Hospiz-Euthanasie bezeichnet, da dort meist propagiert) nur dann rechtens, wenn sie dem Patientenwillen entspricht. Unabhängige Untersuchungen, in welchem Umfang Patienten mit Hospiz-Betreuung nur mangels anderer gesetzlicher Alternativen diesen Weg gehen, liegen für Deutschland nicht vor.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein ... damit das Leben bis zuletzt human bleibt.