Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) begrüßt die aktuellen Beratungen der Sterbehilfe auf europäischer Ebene als wichtiges Impulssignal auch für die deutsche Diskussion. Letztes Jahr hatte die DGHS mit einer Petition das Europäische Parlament aufgefordert, dieses Thema auf die Agenda zu setzen.
Der Deutsche Bundestag verweigert sich seit Jahren einer breiten öffentlichen Diskussion dieser existenziellen Fragen. Allein die Tatsache, dass der Europarat und das Europäische Parlament nun ein Bewusstsein für diese drängenden Fragen zeigen, kann auch Deutschland wichtige Impulse geben. "Unabhängig von dem Ausgang der Beratungen erhoffen wir uns ein starkes Signal für das Ende der hierzulande betriebenen Vogel-Strauß-Politik", meint DGHS-Präsident Karlheinz Wichmann.
Aktive direkte Sterbehilfe wird laut anonymer Umfragen unter Ärzten auch in jenen westlichen Ländern praktiziert, die das Thema bislang nicht geregelt haben. Der Vorstoß der Sozial- und Gesundheitskommission des Europarates ist daher schon deshalb grundsätzlich zu begrüßen, weil er diese Grauzonen im Sterbealltag benennt und Handlungsbedarf feststellt. Die wahre Missbrauchsgefahr - übrigens auch im Hinblick auf sozialen Druck in Richtung Lebensbeendigung! - sieht der Bericht im Hinnehmen von ungeregelten Sterbehilfehandlungen in dunklen Hinterzimmern und im Beibehalten unkontrollierter Rechtsräume.
Der DGHS-Vorschlag zur Einrichtung eines bundesweiten Dokumentationszentrums für Sterbehilfe, den Bundesgesundheitsministerin Schmidt noch im Frühjahr 2002 als uninteressant abgelehnt hat, kommt jetzt womöglich als Marschbefehl aus Brüssel und Straßburg: Denn die nationalen Regierungen sollen aufgefordert werden, Zahlen vorzulegen über die Praxis der Sterbehilfe in ihrem Land, als Grundlage für Transparenz, eine breite öffentliche Diskussion und möglicherweise gesetzliche Regelungen.
Fast scheint es, als hätte Dick Marty, Berichterstatter der Sozial- und Gesundheitskommis-sion des Europarates, aus DGHS-Papieren abgeschrieben: Niemand hat das Recht, unheilbar Kranke und sterbende Patienten gegen ihren ernsthaften Willen am Leben zu erhalten, heißt es in dem Bericht. (Das Recht auf Leben beinhaltet keine Pflicht zum Leben, stellte die DGHS vor Jahren fest). Maßgeblich für medizinische Maßnahmen am Lebensende ist das Selbstbestimmungsrecht, die persönliche Autonomie und die individuell verstandene Menschenwürde. Schmerztherapie und Palliativmedizin müssen ausgebaut werden, reichen aber nicht aus, um unter allen Umständen unerträgliches Leiden zu verhindern. Der Wunsch nach Sterbehilfe geht weit über die bloße Angst vor Schmerzen hinaus (z.B. Erstickungsängste, Würdeverlust) und jeder Mensch leidet individuell. Wie auch immer sich ein Mensch im Hinblick auf lebensbeendende Maßnahmen entscheidet: Jede menschliche Entscheidung verdient Respekt. (Die DGHS plädiert seit Jahren für Toleranz und für ein Ende der Tabuisierung, Pathologisierung und ideologischer Bevormundung von Suizid- und Sterbewünschen unheilbar Kranker.) Schwerstkranke unheilbare Patienten ohne Hoffnung auf Besserung sollen laut Bericht Hilfe zur Beendigung ihres Lebens erhalten können, wenn die Anfrage dauerhaft, ernstlich und wohlüberlegt ist. Ärzte sollen auf freiwilliger Basis legal diese Hilfe leisten dürfen - sei es als aktive direkte Sterbehilfe oder als ärztlich begleiteter Suizid. Entsprechende rechtspolitische Vorschläge hat die DGHS bereits vor 6 Jahren veröffentlicht.
Hintergrund für die aktuellen europäischen Diskussionen sind die Regelungen in den Niederlanden, in Belgien und in der Schweiz. "Wer die grenzüberschreitende Suche nach allerletzter Hilfe - zynisch und menschenverachtend als "Sterbetourismus" bezeichnet -, eindämmen will, der muss Regelungen im eigenen Land schaffen", betont DGHS-Präsident Wichmann. Und er macht auch klar, dass aktive direkte Sterbehilfe nur als allerletzte Möglichkeit für seltene Extremfälle in Betracht kommen kann (als Ultima Ratio).
In Deutschland verhinderte bislang v.a. die immer noch sehr präsente neuere Geschichte nicht nur eine umfassende gesetzliche Regelung, sondern auch eine bloße Diskussion auf breiter gesellschaftlicher Ebene. "Warum aber", so Wichmann, "sollte es nicht möglich sein, wichtige Bedenken ernst zu nehmen und eine Regelung zu schaffen, die ein Maximum an Kontrollen erlaubt?" Denkbar wäre z.B. eine Beratungspflicht analog wie beim Schwangerschaftsab-bruch: eine Ethikkommission könnte sich dann mit dem Wunsch nach aktiver direkter Sterbehilfe befassen, diesen prüfen und ein Votum abgeben, bevor diese Art der Sterbehilfe geleistet wird.
"Gesetze sind zudem ja nicht für die Ewigkeit gemacht", sagt Wichmann. "Die Bundesregierung hat etwa mit dem Fallpauschalengesetz bewiesen, dass so genannte lernende Gesetzessysteme den Erfahrungen der Praxis angepasst werden können, wenn man es mit einem neuen Themenbereich zu tun hat".
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40 000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein ... damit das Leben bis zuletzt human bleibt.