Über zwei Drittel der Bevölkerung wünschen sich bei schwerster Erkrankung die Möglichkeit, auch mit ärztlicher Hilfe ihr Leiden abkürzen zu können. Tatsächlich findet sich aber heute kaum ein Mediziner, der darüber überhaupt nur zu sprechen bereit ist. Diese für viele Menschen äußerst problematische Situation soll zukünftig noch verschärft werden. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat gefordert, jede Form „organisierter“ Suizidhilfe zu verbieten. Ein im Februar aus Unionskreisen angekündigter Gesetzesentwurf sieht vor, sogar Suizidhilfe durch einzelne Ärzte strafbar zu machen.
Das darf nach Auffassung eines breiten Bündnisses humanistischer Organisationen nicht hingenommen werden. Sie fordern, die derzeit geltende Straffreiheit der Suizidhilfe in keiner Weise einzuschränken. Suizidhilfe ist bei einem freiwillensfähigen Patienten bisher keine Straftat, weder bei Einzelpersonen noch bei Sterbebegleitung, die von Vereinen organisiert wird.
„Wir wollen Politik, Ärzte und Öffentlichkeit davon überzeugen, dass neue Verbote der falsche Weg sind“, sagte Ingrid Matthäus-Maier, Koordinatorin des neuen Bündnisses, bei der Vorstellung der Leitsätze am Mittwoch in Berlin. „Verschärfte Strafgesetze lösen keinesfalls die tatsächlichen Probleme, die die Selbstbestimmung am Lebensende und ein Sterben in Würde hierzulande verhindern.“
Die nun vorgestellten Leitsätze werden von
- • Humanistischer Verband Deutschlands
- • Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben
- • Giordano-Bruno-Stiftung
- • Humanistische Union
- • Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften
- • Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten
- • Bund für Geistesfreiheit Bayern
getragen. Die Leitsätze unterstreichen das vom Grundgesetz geschützte Recht auf Autonomie und Gewissensfreiheit und sie fordern die Politik auf, dem Willen und den tatsächlichen Bedürfnissen des Einzelnen klaren Vorrang zu garantieren.
Gita Neumann vom Humanistischen Verband warnte bei der Vorstellung der Leitsätze vor Folgen einer Kriminalisierung: „Ein Strafbarkeitsparagraph als Damoklesschwert führt nur zu neuer Tabuisierung und Sprachlosigkeit. Suizidgefährdete oder sterbewillige Patienten werden sich noch weniger trauen, sich mit existenziellen Nöten an einen Arzt ihres Vertrauens zu wenden. Im Ergebnis wird ihr Gedankenkreis immer enger, es kommt zu einsamen und auch furchtbaren Suiziden.“ Erst der respektvolle Umgang mit diesen Menschen eröffne oft Türen, um Alternativen überhaupt vorzustellen. Denn vielen seien die Möglichkeiten der Palliativversorgung, der Patientenverfügung oder auch der hospizlichen Besuchsdienste noch unbekannt.
„Es gibt keinen Gegensatz zwischen palliativ-medizinischer Hilfe einerseits und der Zulässigkeit organisierter Suizidbeihilfe, und er sollte vor allem nicht künstlich konstruiert werden“, unterstrich Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union bei der Vorstellung der Leitsätze im Haus der Bundespressekonferenz.
Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, betonte abschließend: „Menschen, die ihren Leidenszustand nicht mehr mit ihren persönlichen Wertvorstellungen in Einklang bringen können, sollen ohne Bevormundung durch Außenstehende oder moralische Schuldzuweisungen Andersdenkender ihren Leidens- und Sterbeprozess eigenverantwortlich abkürzen können. Kompetente, fachlich qualifizierte Hilfe zur Ermöglichung selbstbestimmten Sterbens muss straffrei bleiben.“