Freitod ist nicht gleich Freitod

(dgpd Augsburg) Jeden Tag sterben etwa 30 Menschen in Deutschland durch eigene Hand. Die letzten bekannten Zahlen verzeichnen für das Jahr 2003 insgesamt 11.150 Selbsttötungen (davon 8.179 Männer, 2.971 Frauen). Dazu kommen die Zahl der versuchten aber gescheiterten Suizide und die gar nicht als Suizid oder Suizidversuch erkannten Fälle. Hilfe tut also Not, insbesondere bei Depression, die vielen Freitoden zugrunde liegt. Oft wird eine Selbstgefährdung nicht rechtzeitig erkannt, weil das Thema immer noch tabuisiert wird. Die DGHS plädiert für eine offene und ehrliche Gesprächskultur, die auf unangebrachte Moralisierungen, wie etwa beim Begriff Selbst„mord“, verzichtet. 

Zwischen dem Sterbewunsch eines körperlich Gesunden und eines körperlich Kranken können erhebliche Unterschiede bestehen. So schrieb das Robert Koch-Institut in seiner Gesundheits-berichterstattung des Bundes: „Die überwiegende Mehrheit von Patienten, die der Arzt nach einem Suizidversuch sieht, sind psychisch krank und können erfolgreich behandelt werden. (…) Auf der anderen Seite gibt es bei körperlich schwer kranken oder gebrechlichen Menschen eine wohlüberlegte und selbstbestimmte Entscheidung für eine Selbsttötung bzw. die Bitte um eine ärztliche Hilfe zum Suizid, wie klinische Erfahrungen mit AIDS- und Krebskranken zeigen.“ (Heft 2 – Sterbebegleitung, überarbeitete Auflage November 2003, S. 9) 

In einer Berliner Studie wurden kürzlich die Suizidmotive bei 130 Seniorinnen und Senioren zwischen 65 und 95 Jahren untersucht. Das „entscheidende Motiv“ für die Selbsttötung, so Studienleiter Dr. Peter Klostermann, war „Angst vor absoluter Hilflosigkeit und unwürdigem Weiterleben“ (vgl. DGHS-Presse-Info vom 13.09.2004). Tatsächlich fürchten viele ältere Menschen einen Verlust ihrer Würde und ihrer Selbstbestimmung am Lebensende. 

Schwerst und unheilbar körperlich kranke Menschen mit einem Suizidwunsch benötigen Hilfe. Man muss ihnen alles anbieten, was dazu beiträgt, ihre Situation erträglicher zu machen. Dazu gehören vor allem Schmerztherapie und Palliativmedizin und bessere Pflege, aber auch andere konkrete Angebote zur Verbesserung der Lebensqualität, zur Organisation des Alltags und zur psychosozialen Unterstützung.

Zwar ist zu erwarten, dass eine unheilbare und zum Tode führende körperliche Erkrankung auch negative Auswirkungen auf die Psyche hat. Dennoch ist auf diesem Hintergrund Freitod nicht gleich Freitod. „Das Schlagwort von der ‚Altersdepression’ muss manchmal auch dazu herhalten, die Angst vor der eigenen Hilflosigkeit zu verstecken“ betont DGHS-Präsident Karlheinz Wichmann. Insbesondere bei älteren Menschen, die auf ein erfülltes Leben zurückblicken können, kann der Wunsch nach Abkürzung eines zu erwartenden qualvollen Sterbeprozesses ein menschlich nachvollziehbarer Wunsch sein. Der frei verantwortliche und wohlüberlegte Sterbewunsch eines unheilbar körperlich kranken Menschen („Bilanzsuizid“) ist daher nicht per se pathologisch.

Die Nahrungsverweigerung von alten und kranken Menschen kann unter Umständen als Sterbewunsch gewertet werden. Es gehört in solchen Fällen dann zur Menschlichkeit, auf eine künstliche Ernährung (PEG) zu verzichten. Genauso kann es ein Gebot der Menschlichkeit für Ärzte sein, unheilbar Schwerstkranken und Leidenden die Hilfe zum Sterben im Einzelfall nicht zu versagen.