FORSA-UMFRAGE September 2003. Meinungen zur aktiven direkten Sterbehilfe

Vorurteile auf dem Prüfstand: Meinungen zur aktiven direkten Sterbehilfe

1. Die Mehrheit der Bevölkerung meint, dass die aktive direkte Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) auf seltene Extremfälle beschränkt bleiben und mit dieser Beschränkung dann erlaubt sein sollte. Dies entspricht der Haltung der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS), die dem Gesetzgeber 1997 bekannt gemacht wurde [veröffentlicht auch in Wiesing: Ethik in der Medizin. Stuttgart 2000, S. 230 - 236, hier Abschnitt 7, S. 234 f.]

2. Lediglich 15 % meinen, aktive direkte Sterbehilfe sollte grundsätzlich verboten bleiben, "weil es dazu immer bessere Alternativen gibt." Als eine dieser Alternativen sehen diese 15 % auch die Beihilfe zur Selbsttötung an.

3. Immerhin 22 % der evangelischen und 24 % der katholischen Christen sind der Auffassung, dass Tötung auf Verlangen auch dann erlaubt sein sollte, "wenn bei einem unheilbar Schwerstkranken ein Leidensweg diagnostiziert wird, der diesen Schritt nahelegt, der Patient aber nicht mehr in der Lage ist, sich selbst dazu zu äußern." Ebenfalls 26 % der C-Parteien-Anhänger sind dieser Auffassung. 

Die Meinung, dass unheilbar Schwerstkranke auf Verlangen getötet werden sollten, ist in breiten Kreisen der Bevölkerung verankert; für das derzeit gemäß § 216 Strafgesetzbuch bestehende Verbot spricht sich nur eine Minderheit aus.

Die DGHS fordert deshalb eine öffentliche Bundestagsdebatte, die auch den Willensbildungsprozess der Bevölkerung respektiert und parteipolitisch einbindet.

Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)Lange Gasse 2-4 86152 Augsburg Telefon 08 21/50 23 50 Telefax 08 21/5 02 35 55 E-Mail: info@dghs.de Internet: <link http: www.dghs.de>www.dghs.de

Vorbemerkung

Die gemeinwohlorientierte DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) setzt sich ein für die Verbesserung der Bedingungen für Sterbende und Schwerstkranke, für einen Ausbau der Hilfen und die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende. Seit 1987 lässt sie immer wieder repräsentative Meinungsumfragen zu ihrem Themenkreis durchführen. 

Im Focus der hier vorgestellten Kurzumfrage steht die aktive direkte Sterbehilfe, die in Deutschland verboten ist und als so genannte "Tötung auf Verlangen" im § 216 des Strafgesetzbuchs mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Aktive direkte Sterbehilfe lässt sich juristisch von der Beihilfe zum Suizid durch das Kriterium der Tatherrschaft abgrenzen. Sie liegt im ersten Fall beim Helfer, der z.B. eine Spritze setzt und damit gezielt den Tod des Betreffenden auf dessen Bitten hin herbeiführt. Beim Freitod (oder Beihilfe dazu) muss die Tatherrschaft beim Suizidenten liegen. Bei der aktiven indirekten Sterbehilfe fehlt die Intention des Tötens; der u.U. dadurch frühere Tod des Patienten wird hier quasi als unbeabsichtigte Nebenwirkung in Kauf genommen (vgl. www.dghs.de - Wissenswertes). 

Die DGHS setzt sich keineswegs für eine allgemeine "Freigabe" oder "Legalisierung" der aktiven direkten Sterbehilfe ein. Sie plädiert seit Jahren für eine umfassende gesetzliche Regelung der Sterbebegleitung und -hilfe. Und sie ist dafür, die aktive direkte Sterbehilfe einem unheil-bar kranken, aufgeklärten und entscheidungsfähigen Patienten als allerletzte Möglichkeit in seltenen Extremfällen nicht zu verwehren, wenn der Betroffene sie ernsthaft für sich einfordert. Wenn ein Arzt unter festgelegten, strengen Bedingungen solcherart aktive direkte Sterbehilfe leistet, sollte dies nach Meinung der DGHS rechtlich erlaubt sein. 

Wie sieht die Bevölkerung das? Soll aktive direkte Sterbehilfe ausnahmslos weiter verboten bleiben oder wäre es vielleicht wünschenswert, das Verbot zu lockern? Und, falls ja, unter welchen Bedingungen könnte das der Fall sein? 

Die Ergebnisse basieren auf einer Umfrage durch das renommierte Meinungsforschungsinstitut forsa. Befragt wurden 1 004 Personen ab 18 Jahren im Erhebungszeitraum 4. und 5. September 2003. 

Fragestellung

Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen darüber, ob die so genannte aktive direkte Sterbehilfe erlaubt werden sollte. Unter aktiver direkter Sterbehilfe versteht man die Tötung von unheilbar Schwerstkranken auf deren ausdrücklichen Wunsch hin. In Deutschland ist aktive direkte Sterbehilfe bisher verboten. Wie denken Sie persönlich darüber.Sollte aktive direkte Sterbehilfe, also Tötung auf Verlangen, 

  • grundsätzlich verboten bleiben, weil es dazu immer bessere Alternativen gibt
  • auf seltene Extremfälle, also unheilbar Schwerstkranke, beschränkt bleiben, deren Leiden nicht gemindert werden kann und nur in diesem Fall erlaubt sein
  • nicht nur in Extremfällen, sondern immer dann, wenn der Patient es wünscht, erlaubt sein
  • auch dann erlaubt sein, wenn ein Arzt bei einem unheilbar Schwerstkranken an dessen Lebensende einen Leidensprozess diagnostiziert, der diesen Schritt nahe legt, der Patient aber nicht mehr in der Lage ist, sich selbst dazu zu äußern.

Ergebnisse und DGHS-Positionen

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Mehrheit der Befragten (61 Prozent) befürwortet eine Lockerung des Verbotes in einem eng begrenztem Bereich. Demnach sollte die Tötung auf Verlangen nur dann erlaubt sein, wenn sie auf seltene Extremfälle beschränkt bleibt, d.h. auf unheilbar Schwerstkranke, deren Leiden nicht gemindert werden kann (vgl. Tab. 1, unten). Zu den Befürwortern gehören auch die Christen beider Konfessionen: 62 % der evangelischen und 61 % der katholischen Kirchenmitglieder entschieden sich für diese Antwortkategorie. Insgesamt stimmte nur eine Minderheit von 15 Prozent mit Blick auf "bessere Alternativen" für die grundsätzliche Beibehaltung des Verbotes der aktiven direkten Sterbehilfe.

Alternativen, die sich nicht ausschließen müssen

Dieses Meinungsbild widerspricht den Darstellungen verschiedener Meinungsführer und Lobbyisten - aktuell etwa der Deutschen Hospiz Stiftung (Gründung des Malteser Ordens) - nach der aktive direkte Sterbehilfe angeblich von der Bevölkerung abgelehnt wird. Mehr als zwei Drittel der Befragten sehen aktive direkte Sterbehilfe einerseits und Hilfsangebote wie etwa Sterbebegleitung und Schmerztherapie andererseits gerade nicht als einander ausschließende Alternativen. Das Ausmaß der Berichterstattung über die letztgenannten Hilfen ist in allen Medienbereichen in den letzten Jahren gestiegen, so dass die Bürger in Deutschland verstärkt Gelegenheit hatten, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Dies zeigen auch Nachfragen Tausender von Bürgern bei der DGHS. 

Ein weiteres Viertel der Befragten (23 Prozent) plädierte dafür, aktive direkte Sterbehilfe zu erlauben, wollte dies aber nicht weiter einschränken auf einen bestimmten Personenkreis: Nicht nur in Extremfällen soll diese Art der Hilfe möglich sein, sondern "immer dann, wenn der Patient es wünscht". Und 26 Prozent wollten aktive direkte Sterbehilfe auch dann erlauben, wenn der unheilbar Schwerstkranke aktuell nicht mehr in der Lage ist, seinen diesbezüglichen Wunsch zu äußern. 

Etwa Œ der Bevölkerung will mehr als die DGHS Etwa jeder vierte will also, dass der Gesetzgeber aktive direkte Sterbehilfe erlaubt und zwar ohne jede weitere Einschränkung (einzig der Wille des Patienten soll hier hinreichendes und erschöpfendes Kriterium sein). Für immerhin 26 % ist der aktuell geäußerte Wille eines unheilbar Kranken keine unabdingbare Voraussetzung. Die DGHS hat sich seit ihrer Gründung (1980) gegen fremdbestimmte Tötungen ausgesprochen. Maßgebend muss nach DGHS-Auffassung das Selbstbestimmungsrecht sein. Zündstoff böte deshalb eine Diskussion, ob der Gesetzgeber z.B. eine aktive direkte Sterbehilfe erlauben sollte, falls der Patient sich aktuell nicht mehr äußern kann, seinen Willen für diesen Fall jedoch in einer Patientenverfügung dokumentiert hat. 

Die "Rechtspolitischen Leitsätze und Vorschläge" der DGHS

In ihrer Veröffentlichung "Rechtspolitische Leitsätze und Vorschläge der DGHS zu einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe und -begleitung" von 1997 (u.a. in: Wiesing, Urban: Ethik in der Medizin. Ein Reader. Stuttgart 2000, S. 231-236) hat die DGHS die Voraussetzungen für diese Ultima Ratio formuliert und eine Reihe von Bedingungen genannt. "Diese Beschränkung ist notwendig, um den Gefahren des Missbrauchs, des Vertrauensverlustes und der möglichen Ausweitung der aktiven (direkten) Sterbehilfe auf Fälle von Mitleidstötung, in denen der unheilbar Kranke eine Sterbehilfe nicht ausdrücklich verlangt, zuvorzukommen", heißt es in den Leitsätzen. Die Tötung eines unheilbar Kranken sollte demnach nur dann nicht rechtswidrig sein (Abschnitt 7 zu § 216 StGB), wenn

  • sie die Abkürzung eines schweren und voraussichtlich bis zum Tod andauernden Leidenszustands zum Ziel hat,
  • auf einer frei verantwortlichen Entscheidung des unheilbar Kranken beruht,
  • andere Mittel der Leidenslinderung wie insbesondere palliative Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen oder vom Kranken abgelehnt werden und
  • der unheilbar Kranke zur Ausführung einer Selbsttötung dauerhaft körperlich nicht in der Lage ist.
  • Wird die Tötung von einem Arzt ausgeführt, "ist diese nur dann nicht rechtswidrig, wenn eine schriftliche Erklärung des Patienten vorliegt, dass er getötet zu werden wünscht und wenn ein zweiter Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 2 bestätigt".

Forderung nach einer öffentlichen Diskussion im Bundestag 

Insgesamt belegen die Umfrageergebnisse einmal mehr, dass sich die Meinung der Bevölkerungsmehrheit keineswegs in den Äußerungen der Meinungsführer aus Ärzteschaft, Politik, Kirchen und Hospizbewegung spiegelt. Die Masse der Bürger und Bürgerinnen findet bei den Funktionsträgern dieser Pressuregroups und im Bundestag bislang ihre Anliegen nicht wieder. Die Blockadepolitik des Deutschen Bundestages gegen eine öffentliche Diskussion zu diesen sensiblen Fragen, wie die DGHS dies seit langem fordert, findet sich im Willensbildungsprozess der Bevölkerung nicht demokratisch legitimiert. 

Tabelle 1: Meinung zur aktiven direkten Sterbehilfe
Die aktive Sterbehilfe, also Tötung auf verlangen, sollte ..."

%%%%
Insgesamt15612326
Ost9582831
West16612225
18 bis 29-Jährige9701825
30 bis 44-Jährige10642524
45 bis 59-Jährige16622324
60 Jahre und älter22502530
Hauptschule17592429
mitterer Abschluss13582427
Abitur/Studium13662223
Evangelisch14621724
Katholisch21611724
Konfessionslos6603033
Anhänger der ...
SPD16652025
Grüne15582317
CDU/CSU14612526
FDP7602635

 *) Angaben über 100 Prozent, da Mehrfachnennungen möglich

Zusatzfrage an Untergruppe

Jene Befragten, die die aktive direkte Sterbehilfe in jedem Fall weiterhin verboten sehen möchten (Antwortkategorie 1, insgesamt lediglich von 15 % gewählt), "weil es dazu bessere Alternativen gibt", wurden in einer Zusatzfrage genauer nach der Art der gesehenen Alternativen gefragt:

Welche Alternativen gibt es Ihrer Meinung nach zur aktiven direkten Sterbehilfe? Wie sollte man unheilbar Schwerstkranken an ihrem Lebensende helfen?

  • durch mitmenschliche Sterbebegleitung
  • durch passive Sterbehilfe, also Abbruch oder Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen
  • durch Beihilfe zur Selbsttötung
  • durch medikamentöse Dämpfung von Schmerzen und Beruhigung des Schwerstkranken, wobei in Kauf genommen wird, dass der Patient durch diese Behandlung schneller stirbt, dies aber nicht beabsichtigt wird
  • man sollte weder direkt, noch indirekt in den Sterbeprozess eingreifen.

Ergebnisse: Auch Suizid-Beihilfe ist eine Alternative zur aktiven direkten Sterbehilfe

Im Vordergrund der gesehenen "Alternativen" stehen die Sterbebegleitung (63 %) und die indirekte aktive Sterbehilfe (61 %). 44 % sehen in der passiven Sterbehilfe eine Alternative, 28 % meinen, "man sollte weder direkt, noch indirekt in den Sterbeprozess eingreifen". Immerhin 7 % sehen in der Beihilfe zur Selbsttötung eine Alternative. Sie ist - anders als gelegentlich in der Öffentlichkeit dargestellt wird - eben nicht identisch mit aktiver direkter Sterbehilfe.

Tabelle 2: Alternativen zur aktiven direkten Sterbehilfe*)
Man sollte unheilbar Schwerstkranken an ihrem Lebensende alternativ helfen durch..."

%
mitmenschliche Sterbebegleitung63
medikamentöse Dämpfung von Schmerzen und Beruhigung des Schwerstkranken, wobei in Kauf genommen wird, dass der Patient durch diese Behandlung schneller stirbt, dies aber nicht beabsichtigt wird61
passive Sterbehilfe, also Abbruch oder Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen44
Beihilfe zur Selbsttötung7
man sollte weder direkt, noch indirekt in den Sterbeprozess eingreifen **)28

*) Basis: Befragte, die meinen, dass aktive direkte Sterbehilfe grundsätzlich verboten bleiben sollte, weil es immer Alternativen gibt 
**) Angaben über 100 Prozent, da Mehrfachnennungen möglich