(dgpd Augsburg) Am heutigen Tag der Toleranz erhielt die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) das Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 3. November - zeitnah zur aktuellen WOCHE FÜR DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT. Darin behauptet die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk, Drogenbeauftragte der Bundesregierung:
"Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich verankerten Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des Lebens jedes Menschen und der verfassungsrechtlich verbürgten Achtung der Würde des Menschen bleibt das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung weiterhin bei seiner Position, den Forderungen nach aktiver Sterbehilfe entgegenzutreten und sich für Maßnahmen zur Erleichterung der Situation unheilbar Kranker und Sterbender einzusetzen."
Diese Auffassung zeigt in erschütternder Weise die Intoleranz einer Regierungspolitik, die verfassungsrechtliche Grundsätze dammbruchartig verbiegt. Wie der Verfassungsrechtler Prof. Hufen im Grundsatzartikel "In dubio pro dignitate" (= Im Zweifel für die Würde) darlegt, steht eine angebliche "Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des Lebens jedes Menschen" hinter der Bedeutung der Würde des Menschen (Artikel 1 GG) zurück:
"Da dem Gesetzgeber aber beim Schutz des Lebens ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt" - so Hufen - "wäre er nicht gehindert, die Strafbarkeit konsentierter aktiver Sterbehilfe für solche - strikt eingegrenzten - Fälle aufzuheben, in denen zum Beispiel ein Todkranker sie ohne äußeren Druck und bei vollem Bewusstsein verlangt." (Hufen, Friedhelm: In dubio pro digni- tate. Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens. Neue Juristische Wochenschrift Heft 12/2001 vom 19.03.2001, S.849 - 857, hier S. 855).
Die objektive Schutzpflicht des Staates für menschliches Leben darf nicht zur Lebenspflicht für Komapatienten und Sterbende missbraucht werden und dazu führen, dass der verfassungsrechtliche Auftrag überstrapaziert wird und das Selbstbestimmungsrecht von Bürgern und Patienten unterläuft. Aktive Sterbehilfe wird in Deutschland längst in Grauzonen praktiziert; sie besteht in der - verbotenen aktiven direkten Sterbehilfe (vgl. § 216 StGB) und der - tolerierten aktiven indirekten Sterbehilfe, bei der ein Patiententod billigend in Kauf genommen wird, falls er aufgrund Schmerztherapie und "terminaler Sedierung" früher sterben sollte als dies ohne diese Drogen der Fall wäre.
In beiden Fällen - der aktiven direkten sowie der aktiven indirekten Sterbehilfe - liegt die Tatherrschaft in der Regel beim Arzt, juristisch gesehen jedenfalls nicht beim Patienten. Anders ist dies im Falle der Abkürzung eines qualvollen Sterbeprozesses durch Selbst-Tötung.
Zynischerweise will das Bundesministerium in Abstimmung mit der Regierung offenbar die übliche Metapher des "Lebensschutzes" zur Finanzierung der Magensonden-Industrie und einer "Brave New World sedierter Langzeitpatienten" instrumentalisieren, obwohl der Gesetzgeber und die Regierung andererseits seit Jahren den finalen Tötungsschuss bei Geiselnahme ebenso "tolerieren" wie die Tötung werdenden Lebens im Mutterleib. In diesen beiden Fällen wird Leben, das n i c h t vorher gefragt wird, fremdbestimmt getötet.
Die DGHS fordert ein Ende dieser inhumanen Pseudo-Toleranz und ersucht alle freigesinnten Demokraten, den Willensbildungsprozess der Bevölkerung nach toleranteren Sterbehilfe-Gesetzen zu erstreiten. Keine Regierung ist berechigt, die Freiheiten, die das Grundgesetz dem Bürger gegen den Staat einräumt, in bevormundender Umkehrung gegen sterbende Bürger und deren Selbstbestimmungs-Recht zu missbrauchen.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit knapp 40 000 Mitgliedern sowie zahlreichen Freunden und Förderern setzt sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ein ... damit das Leben bis zuletzt human bleibt.