Die acht im „Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende“ vertretenen humanistischen Organisationen Deutschlands sind besorgt über die Folgen des im Dezember 2015 in Kraft getretenen Strafgesetzes zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Sie lehnen dieses Gesetz nach wie vor als schlecht begründet und unverhältnismäßig strikt ab.
Suizidbeihilfe nur noch in Einzelfällen erlaubt
Auch mit dem neuen Paragraphen 217 StGB bleibt die Selbsttötung an sich straffrei. Bislang galt im deutschen Recht der Grundsatz, wonach die Beihilfe zu einer straffreien Tat ebenfalls straffrei ist. Diesen sinnvollen Grundsatz hat der Gesetzgeber in rechtswidriger Weise missachtet: Die Straffreiheit der Beihilfe zum Freitod gilt nur noch für Einzelfälle. So darf nun bei einem selbstbestimmten Freitod nur noch straffrei helfen, wer mit dem Sterbewilligen verwandt oder eng befreundet ist, unabhängig von seinen Qualifikationen und Gründen für eine derartige Hilfe.
Angehörige und Freunde sind auch von Strafe ausgenommen, wenn sie den Schwerstkranken zum Freitod in die Schweiz begleiten. Der teure Weg in die Schweiz, der zudem beizeiten -„vor der Zeit“ - anzutreten ist, steht jedoch nur Wenigen offen.
Es ist davon auszugehen, dass diese Straffreiheit nicht gilt für Gesprächsangebote durch Organisationen oder Ärzte zu Suizidgedanken oder -vorhaben, wenn diese bestärkt bzw. der Wunsch nach Hilfe zur Selbsttötung dabei gefördert wird.
Erhebliche Verunsicherung durch das neue Gesetz
Unser „Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende“ sieht seine Befürchtung bestätigt, dass die Aufnahme des Straftatbestandes „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ in das Strafgesetzbuch bei Patienten und Ärzten zu erheblichen Verunsicherungen geführt hat. Denn „geschäftsmäßig“ handelt bereits, wer etwas wiederholt und organisiert tut, auch wenn kein finanzielles Interesse vorliegt.
Ein offenes Gespräch mit Suizidwilligen ist unter diesen Umständen kaum möglich. Dies gilt für Ärzte ebenso wie für Hilfskräfte, die z.B. auf Palliativ- oder Hospiz-Stationen mit Suizidwünschen konfrontiert werden. Und: Machen sich Kliniken, Hospize oder Heime strafbar, die Sterbefasten dulden oder ermöglichen?
Unklar ist ebenfalls, wie weit palliativ tätigen Ärzten eine Förderung der Selbsttötung unterstellt werden kann, wenn sie ihren Schmerzpatienten, z.B. über das Wochenende, ausreichende Mengen an Schmerzmitteln überlassen, mit denen bei entsprechender Dosierung auch eine Selbsttötung möglich wäre.
Vertreter von in der Schweiz auch für Ausländer tätigen Sterbehilfe-Organisationen haben jüngst öffentlich erklärt, dass sie „keinen Fuß auf deutsches Gebiet mehr setzen werden“. Sie fürchten, dass ihre in Deutschland gegebenen Informationen über ihre Hilfe in der Schweiz als Werbung gedeutet und als „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ strafrechtlich verfolgt werden könnten.
Der Gang zum Verfassungsgericht ist nötig
Es ist nicht abzuschätzen, wie weit die Rechtsprechung im konkreten Fall dem Wortlaut des Gesetzes oder den in der Gesetzesbegründung dargelegten Zwecken folgen wird. Die dadurch für alle Beteiligten geschaffene Rechtsunsicherheit ist mit dem verfassungsmäßigen Bestimmtheitsgebot unvereinbar. Ein Urteil, das von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Strafrechtswissenschaftler/-innen geteilt wird. Das hat auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages unterstrichen.
Inzwischen hat Sterbehilfe Deutschland Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Weitere Klagen durch renommierte Strafrechtsprofessoren und Ärzte sind angekündigt.
Das Bündnis unterstützt die von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen eingereichten oder vorgesehenen Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 des StGB beim Bundesverfassungsgericht.
Die dem Bündnis angehörenden Organisationen werden sich in ihrer Tätigkeit vorerst an das Gesetz halten. Sie werden aber in ihrer Beratungstätigkeit nicht darauf verzichten, neben den in Deutschland legal verfügbaren Optionen für ein selbstbestimmtes Lebensende auch auf die im Ausland bestehenden Hilfsmöglichkeiten hinzuweisen.
Das Gesetz schützt nicht, sondern es knebelt
Die Sorge, Menschen könnten durch „Manipulation und Beeinflussung“ zu einem Suizid gedrängt werden, nehmen wir ernst. Die Antwort des Gesetzgebers, ein Verbot jeglicher geschäftsmäßiger, also wiederholt angebotener Hilfe für Sterbewillige, schützt jedoch nicht vor einer möglichen Bedrängung durch Nahestehende. Darüber hinaus beraubt es den ernsthaft zur Leidensverkürzung durch Freitod entschlossenen Menschen nahezu jeder professioneller Hilfe. Damit werden Ängste vor dem Sterbeprozess nicht abgebaut, sondern im Gegenteil werden unkontrollierbare, verzweifelte, Dritte gefährdende Freitodversuche noch zunehmen.
Dieses Gesetz basiert auf einer in der christlichen Tradition verankerten, längst überholten Verurteilung der Selbsttötung und dient v. a. der Durchsetzung kirchlicher Sozialethik. Aber es trägt dem Bedürfnis und dem Recht der Bevölkerung unseres Landes auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht Rechnung.
Das strafrechtliche Verbot organisierter Suizidbeihilfe ist daher aufzuheben!
Das „Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende“ wurde 2014 gegründet. Es besteht aus: Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern, Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e. V. (DFW), Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. (DGHS), Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Humanistische Union (HU), Humanistischer Verband Deutschlands (HVD), Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V. (IBKA), Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO).
Webseite des Bündnisses “Mein Ende gehört mir!”