Eingeständnis von unterlassenen Hilfeleistungen des Staates.

Verfassungsschutz sollte auch staatliche Gewalt kontrollieren. Kritik an einer <appell-politik><Appell-Politik>, die existentiell brennende Probleme nicht löst. DGHS-Präsident Wichmann lobt Wächter- und Mahner-Funktion der Medien</appell-politik>

Einsichtig und verständlich formuliert das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, in Artikel 1:

„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“

In auffälliger Weise räumen Abgeordnete des Bundestages und Parteien seit geraumer Zeit wiederholt ein, diese klaren Formulierungen nicht zu respektieren und trotz jahrelanger Chancen in Regierungsverantwortung (auch früherer Regierungskoalitionen) die unmissverständlichen Vorgaben der Verfassung nicht umgesetzt zu haben.

Neue Anlässe, dies festzustellen, bieten Medienberichte über „Schwere Defizite bei der Sterbebetreuung“ (Frankfurter Rundschau 29.06.05; analog u. a. Stuttgarter Zeitung 05.07.05) oder über „immer noch unzureichend“ bestehende „Versorgung mit lindernder Medizin“ (vgl. Darmstädter Echo 29.06.05).

Dem mitdenkenden Leser dieser Medienberichte wird es nicht schwer fallen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Satz

„Experten aller Parteien haben dringend gefordert, die Versorgung Schwerstkranker zu verbessern und ihnen ein würdiges und schmerzfreies Sterben zu ermöglichen“ (Wetzlarer Neue Zeitung 29.06.05),

besagt, dass die Experten aller Parteien eingestehen, dass es derzeit k e i n würdiges und schmerzfreies Sterben (zumindest in vielen Fällen) gibt; denn gäbe es dieses würdige Sterben und wäre es zumindest die Regel, würde eine solche Forderung Unsinn sein.

Wenn es zu Forderungen der Enquête-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ heißt:

„Die Kommission kritisierte scharf, dass die Versorgung mit lindernder Medizin immer noch unzureichend sei und auch die Hospizbetreuung deutliche Defizite aufweise“ (Darmstädter Echo 29.06.07),

so besagt dies: Patienten können in Deutschland n i c h t damit rechnen, ausreichend schmerztherapiert zu werden, geschweige denn schmerzfrei gestellt zu werden.

Wenn eine Kommission des Bundesparlaments, bestehend aus Bundestagsabgeordneten, Forderungen aufstellt, wonach die Schmerztherapie, Palliativmedizin, Medizinerausbildung und Hospizbetreuung maßgeblich zu verbessern sei; wenn Experten aller Parteien dringend fordern, „ein würdiges Sterben zu ermöglichen“, dann wird die Aufgabe und Pflicht von Abgeordneten, Regierung und Staat verkannt.

Denn Abgeordnete, Regierung und Staat haben keine Forderungen aufzustellen, sondern zu entscheiden, zu handeln sowie verfassungswidrige Missstände und Menschenrechtsverletzungen abzustellen.

Das Verhalten der Abgeordneten und des Staates gleicht der Feuerwehr, die es unterlässt, einen Brand zu löschen, und gleichzeitig fordert, die Anzahl oder Qualität der Rauchmelder in Häusern sei zu verbessern. Politik wird mehr und mehr <appell-politik> <Appell-Politik> statt Politik der kompetenten Regelung existentiell brennender Probleme.</appell-politik>

„Sind sich diese Abgeordneten“, so DGHS-Präsident Karlheinz Wichmann, „ihrer Verantwortung nicht bewusst?“ Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN, so ihr Präsident, weise seit Jahren, auch in direkten Schreiben an Abgeordnete, auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen hin, die nicht eingehalten werden. In DGHS-Internet-Hinweisen (www.dghs.de und www.humanesleben-humanessterben.de) werde anhaltend auf verfassungsrechtliche Pflichten des Staates hingewiesen.

Der Mensch darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, „die ihn zum bloßen Objekt degradiert“ (BVerfGE 27, 6; 50, 175; 87, 228). Absatz 1 Grundgesetz „schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird“ (BVerfGE 49, 298). In der Regel „kommt es entscheidend darauf an, was der Betroffene empfindet“ (GG-Kommentar Seifert/Hömig). Der Staat ist verpflichtet „zum positiven Tun des Schützens der Menschenwürde vor Angriffen aus dem nichtstaatlichen Bereich“, wobei gilt: „Diese Schutzpflicht schließt den vorbeugenden Schutz ein“ (vgl. ebenda und BVerfGE 49, 142).

Weder Gesetzgeber, Staat, Parteien noch Bundestagsabgeordnete haben ein Recht, Eingriffe in die unantastbare Bestandsgarantie der Menschenwürde vorzunehmen oder durch unterlassene Hilfeleistungen die Würde- und Menschenrechtsverlet-zungen in Deutschland hinzunehmen. Dass es diese Verletzungen gibt, wurde über Jahre in den Medien berichtet.

Die Medien“, so DGHS-Präsident Wichmann, „erfüllen hier eine unverzichtbare Wächter-und Mahner-Funktion“. Und weiter: „Es ist bitter, feststellen zu müssen, dass es keine Feuerwehr gegen Menschenrechtsverletzungen in Deutschland gibt.„ Der Generalbundesanwalt hält sich zurück; viele Staatsanwaltschaften halten sich bedeckt.“ Es fehle, so Wichmann, an effektiven Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Abgeordneten. Wenn über GG-Änderungen nachgedacht werde, dürfe die Immunitäts- und Indemnitäts-Regelung in Art. 46 GG nicht als rechtsfreier Raum missverstanden werden; auf seiner Wunschliste stünden Präzisierungen des Grundgesetzes, die der verfassungsrechtlichen Verantwortung von Abgeordneten stärker Rechnung tragen. „So wie der Bundesrech-nungshof das finanzielle Gebaren des Staates bei gravierenden Missständen kritisiert, sollte auch der Verfassungsschutz die Verletzungen der Würde Behinderter, Pflegebedürftiger und Sterbender rügen“. Dies allein genüge jedoch nicht. O-Ton Wichmann: „Kritik und Rügen zeigen keine Wirkung, wenn es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt.“ Er forderte deshalb den Gesetzgeber auf, nach der nunmehr dritten Änderung der gesetzlichen Regelung des Dosen-pfandes eine umfassende gesetzliche Regelung der Sterbebegleitung und -hilfe auf den Weg zu bringen. Leitgedanke müsse Artikel 1 GG sein. Dabei gehe es nicht um den theologi-schenWürde-Begriff, wonach Gott dem Menschen Würde verliehen habe, die er stets behalte, was immer auch mit ihm geschehe. Maßgeblich sei vielmehr der staats- und verfassungsrechtliche Würdebegriff, der seine Ausprägung im Empfinden der Betroffenen und deren Selbstbestimmungsrecht habe.

Abgeordnete, Regierung und Staat können nicht behaupten, diese verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu kennen. Der Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel hatte bekanntlich formuliert:

„Dem Wunsch des Menschen, in Würde zu sterben, muss alle staatliche Gewalt entsprechen. Gesetzliche Bestimmungen, die diesem Grundsatz widersprechen oder ihn einschränken, sind zu ändern.“ (Antragsentwurf „Autonomie am Lebensende“, Stand 31.03.2004)

Damit räumte er ein, dass es gesetzliche Bestimmungen gibt, die dem Verfassungsgrundsatz widersprechen. DGHS-Präsident Wichmann: „Auch dies ist nicht neu. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben in der Vergangenheit wiederholt belegt, dass es der Gesetzgeber mit seiner Verfassungspflicht nicht so genau nimmt.“ Auch deshalb sei ein Überdenken der Funktion und Kompetenz von Abgeordneten ratsam.

Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) ist die einzige Patientenschutzorganisation, die ein volles Selbstbestimmungsrecht der Bürger und Patienten auch in der letzten Lebensphase fordert, analog dem überwältigenden Willensbildungsprozess der Bevölkerung.

Beispielhaft hierzu aus DGHS-Presse-Infos:

  • „Die große Mehrheit der Bevölkerung (84 %) würde ihrem Hausarzt das Vertrauen nicht entziehen, wenn dieser einem unheilbar kranken Patienten bei der Selbsttötung geholfen hätte. Und selbst bei der – in Deutschland verbotenen – aktiven direkten Sterbehilfe sähe nur eine Minderheit (20 %) das Vertrauen zu ihrem Hausarzt erschüttert. Für 74 % der Bevölkerung hätte dies hingegen keine Folgen.“ (Presse-Info 04.12.2003)„
  • Auch im Hospiz gibt es das schwere Sterben“ (Presse-Info 30.09.2003)
  • „Was meinen Bürger zur aktiven direkten Sterbehilfe? Neue forsa-Umfrage: Aktive direkte Sterbehilfe sollte mit der Beschränkung auf unheilbar Schwerstkranke erlaubt sein; auch konfessionsorientierte Bürger stimmen mehrheitlich dafür – genauso wie die Anhänger der SPD, CDU/CSU, FDP und Grüne“ (Presse-Info 17.09.2003)

Frühere Presse-Infos können (bei den genannten Umfragen mit Belegen) von Journalisten angefordert werden (vgl. auch <link http: www.dghs.de>www.dghs.de).