Deutscher Juristentag (DJT): Chance nach 20 Jahren?

(dgpd Ausburg) Vor 20 Jahren, auf dem 56. Deutschen Juristentag in Berlin (9.-12.9.1986) fand in diesem bedeutenden Gremium eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Sterbehilfe statt: „Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung“ - so lautete damals das Thema. Der damalige „Alternativentwurf Sterbehilfe“, von renommierten Juristen entworfen, kam nicht zum Zug. 

Heute ist bereits die Begriffswahl moderater. Man spricht statt von „Sterbehilfe“ von einem „Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung“ (*), obwohl es um keine anderen Phänomene und Probleme geht. Sprachakrobatik als Lösung? Will man dem Gutachten C von Prof. Dr. Torsten Verrel über „Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung“ glauben, müsste die Sterbehilfe-Terminologie ersetzt werden. 

DGHS-Positionen und -Anträge 

Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) e.V. pflichtet in vielen Punkten Verrel bei, wünscht jedoch eine praxisorientierte Präzisierung, eine bessere Aufklärung über den Juristen-Jargon und eine umfassende gesetzliche Regelung der Sterbebegleitung und -hilfe; nicht nur eine Salami-Taktik-Reform des Gesetzgebers bei einzelnen Paragraphen. 

Die DGHS hat als Mitglied des DJT eigene Anträge vorbereitet und begründet (vgl. unten). 

Im Auftrag der DGHS erstellte Rechtsanwalt Putz, einer der Referenten des heutigen 66. DJT, ein Gutachten zur Suizidthematik (**), das seit dem 19.09.06 öffentlich zugänglich ist (vgl. www.dghs.de, Rubrik „Publikationen“). 

Was die DGHS will: Eine ausgewogene SOWOHL-ALS-AUCH-ETHIK, die den Willen des Patienten und sein Selbstbestimmungsrecht respekiert. 

(*) Kautz, Oliver: Der Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung. In: DGHS (Hrsg.): Humanes Leben - Humanes Sterben (HLS) 2/2006, S. 4-6, auch www.humanesleben-humanessterben.de/rubriken/debatten/50112897ba0883906.html 

(**) Zur rechtspolitischen Auseinandersetzung vgl. das im Auftrag der DGHS von RA Wolfgang Putz erstellte Rechtsgutachten: "Strafrechtliche Aspekte der Suizid-Begleitung in Deutschland" in www.dghs.de, Rubrik "Publikationen". 

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) e.V. 

Anträge zum DEUTSCHEN JURISTENTAG (DJT) 2006 in Stuttgart 

Mit Bezug auf die Thesen im Gutachten von Prof. Dr. Torsten Verrel wird beantragt: 

Antrag 1 (zu These 5 GA Prof. Verrel) 

Der Gesetzgeber soll ein umfassendes Sterbebegleitungsgesetz unter Beachtung verfassungsrechtlicher Rahmenbedingungen mit Stärkung des Praxisbezugs unter Berücksichtigung von Sorgfaltskriterien erwirken, damit Mißbrauchsgefahren vermieden werden. 

Antrag 2 (zu These 4 GA Prof. Verrel) 

Der Gesetzgeber soll den Patientenwillen für lebenserhaltende Therapien stärken und die Frage, ob eine Therapie sinnvoll ist oder nicht, entgegen den Darlegungen im BGH-Beschluss vom 17.03.2003 nicht den Ärzten überlassen. Maßgeblich bleibt der Wille des Patienten im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts. 

Antrag 3 (zu These 11 lit b GA Prof. Verrel) 

a) Der Gesetzgeber soll die ärztliche Suizidbegleitung gesetzlich ausdrücklich regeln. 

b) Für den ärztlich begleiteten Suizid sind dabei detaillierte Regelungen geboten, die insbesondere einen praxisrelevanten Zugang zu humanen Suizidmöglichkeiten unter kontrollierten Ausführungs- und Verfahrensbestimmungen regeln. 

c) Anspruch und Vollzug des ärztlich begleiteten Suizids müssen für den Patienten in einem zeitlich zumutbaren Rahmen unter besonderer Berücksichtigung des ärztlichen Selbstbestimmungsrechtes gewährleistet sein. 

Antrag 4 (zu These 3 GA Prof. Verrel) 

a) Der Gesetzgeber soll eine aktive (direkte) Sterbehilfe unter Beachtung von Sorgfaltskriterien in seltenen Extremfällen rechtlich erlauben und dies gesetzlich regeln. Für diese Extremfälle (ULTIMA RATIO) ist ein detaillierter Regelungskatalog aufzustellen, der gesetzlich verankert wird. Näheres soll in einem Sterbebegleitungsgesetz geregelt werden. 

b) § 216 StGB wird u. a. durch einen Absatz 2 wie folgt ergänzt: 

„Die Tötung eines unheilbar Kranken unter den Voraussetzungen des Abs. 1 ist nicht rechtswidrig, wenn sie die Abkürzung eines schweren und voraussichtlich bis zum Tod andauernden Leidenszustands zum Ziel hat, auf einer frei verantwortlichen und informierten Entscheidung des unheilbar Kranken beruht, andere Mittel der Leidensminderung wie insbesondere palliative Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen oder vom Kranken abgelehnt werden und der unheilbar Kranke zur Ausführung einer Selbsttötung dauerhaft körperlich nicht in der Lage ist.“ 

Ergänzende Vorschläge und Begründung

Die Thesen im Gutachten von Herrn Prof. Dr. Torsten Verrel interpretieren die Wirklichkeit des Sterbealltags und seiner juristisch-medizinischen Problematik; sie decken sich in vielen Punkten mit den über 25-jährigen Forderungen und Erfahrungen der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) e.V. in diesem sensiblen Bereich. 

Allerdings werden aus den Bereichen der Thesen, die sich auf Zustandsbeschreibungen und Probleme beziehen, nicht ausreichend praxisrelevante Schlüsse für konkrete Änderungen im straf- und zivilrechtlichen Bereich gezogen. 

Änderungen in der Terminologie werden die Probleme nicht lösen. Die vorgeschlagenen Begriffe verwässern und euphemisieren. Dieser seit Jahren zu beobachtende Trend schadet aufgrund der damit verbundenen Vieldeutigkeit einer wünschenswerten Präzision juristischen Denkens. 

Schwerpunkte der Antragstellung: 

 

  • Der Gesetzgeber möge ein umfassendes STERBEBEGLEITUNGSGESETZ unter Beachtung verfassungsrechtlicher Rahmenbedingungen (Hufen, Friedhelm: In dubio pro dignitate. Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens. NJW 12/2001, S. 849 - 857) und Stärkung des Praxisbezugs erwirken.
  • Grundlage sind die Rechtspolitischen Leitsätze und Vorschläge der DGHS (s. u.) 
  • Medizinische Psychologie und Soziologie, Palliativmedizin und soziale Maßnahmen zur Integration Sterbender sind parallel zu juristischen Möglichkeiten zu stärken.
  • Trotz großer Übereinstimmung mit den Zustandsanalysen von Prof. Verrel erfordert der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber Sterbenden neben der schon heute möglichen aktiven indirekten Sterbehilfe einen straf- und zivilrechtlich verankerten Ausnahmetatbestand der gesetzlich festgeschriebenen, nicht strafbewehrten aktiven direkten Sterbehilfe für jene schwerstkranken Patienten, die mangels Tatherrschaft einen fachkundig begleiteten Suizid nicht mehr durchführen können. 

Da vereinzelte Verbesserungen in Teilbereichen des Straf- und Zivilrechts nicht befriedigen können und wiederholt zu Nachbesserungen führten (Beispiel: Betreuungsrecht), regt die DGHS eine umfassende gesetzliche Regelung von Sterbebegleitung und -hilfe an. Im Unterschied zu Dosenpfand oder Doping im Sport sollte sich die Gesetzesmaschine des Staates zuerst existenziell zentralen Fragen zuwenden. Entsprechend empfahl Verfassungsgerichts-Präsident Papier, der Gesetzgeber „sollte Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Bürger stärken“ (Augsburger Allgemeine 18.09.2006, S. 8). 

Nicht die Frage der Begriffe, sondern wie das SELBSTBESTIMMUNGSRECHT Pflegebedürftiger und Sterbender gegen fremdbestimmende Verzögerungen und Missbrauchsgefahren abgesichert werden kann, sollte im Zentrum der Überlegungen stehen. Gleichzeitig gilt es, der Verunsicherungen bei Ärzten, Angehörigen, Pflegepersonal und Richtern durch bessere Aufklärung (auch über den Kerngehalt von juristischen Schlüsselbegriffen) entgegenzuwirken, um damit unnötige und langwierige Prozesse zu vermeiden. 

Eckpunkte sollten gesetzlich verankert werden, die Ausnahmetatbestände präzisieren, aufgrund derer bei der aktiven direkten Sterbehilfe nicht nur gerichtlicherseits von Strafe abgesehen werden kann (so der AE-Sterbehilfe 1986, 56. DJT Berlin), sondern bereits die Rechtswidrigkeit der Tathandlung entfällt. Um Missbrauchsgefahren auf ein Minimum zu reduzieren, sollten in einem separaten STERBEBEGLEITUNGSGESETZ Sorgfaltskriterien festgeschrieben werden, die eingehalten werden müssen, wenn eine Bestrafung entfällt. Diese Sorgfaltskriterien sollten in der Praxis durch geeignete Maßnahmen überprüft werden. 

Da bei der Reduzierung von Geldern im Gesundheitswesen Missbrauchsgefahren durch die Hintertüre der Verknappung von Ressourcen nicht auszuschließen sind, sollte der Gesetzgeber auch den Patientenwillen für lebenserhaltende Therapien stärken und die Frage, ob eine Therapie sinnvoll sei oder nicht, entgegen Darlegungen im BGH-Beschluss vom 17.03.2003 nicht den Ärzten überlassen (vgl. Originalausfertigung XII ZB 2/03, S. 24 „… Behandlung nicht angeboten wird - sei es, dass sie nach Auffassung der behandelnden Ärzte von vornherein nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist“). Über Sinn oder Unsinn hat nach Aufklärung der Behandlungs-möglichkeiten allein der Patient oder (im Sinne eines schriftlich dokumentierten Patientenwillens oder des mutmaßlichen Willens des Patienten) der Bevollmächtigte bzw. Betreuer zu entscheiden. Dem Gericht sollte hier lediglich die Überprüfung des Patientenwillens überantwortet werden. 

Im Unterschied zu These 3 (Prof. Verrel) resultiert aus These 1 d) (Prof. Verrel) die Aufgabe des Gesetzgebers, den ohnehin emotional stark belasteten Ärzten und Angehörigen gerichtliche Einzelfallentscheidungen (rechtfertigender Notstand § 34 StGB) möglichst zu ersparen und das sozial-medizinische Umfeld der betroffenen Patienten nicht mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen zu konfrontieren, bei denen sich humanitäre Maßnahmen und weltanschauliche oder religiöse Selbstbestimmung rechtfertigen sollen. Vielmehr wäre es Verpflichtung, § 323 c StGB (Unterlassene Hilfeleistung) im Gesetzestext so zu präzisieren, dass zwischen einer unterlassenen Lebens-Hilfeleistung und einer unterlassenen Sterbe-Hilfeleistung differenziert wird. 

Entsprechend dem Vorschlag von Prof. Verrel sollte die Suizidbegleitung unter festgelegten Kautelen gesetzlich ausdrücklich erlaubt sein, der Staat aber auch verpflichtet werden, den Zugang zu humanen Suizidmöglichkeiten unter kontrollierten Ausführungsbestimmungen erzwingbar zu machen. Diese praxisrelevanten Regelungen sind eine Conditio sine qua non, zumal ohne gute Aufklärung (auch über alternative Behandlungsmöglichkeiten), gute mitmenschliche Betreuungs- (und Gesprächs-)Angebote sowie ohne effektiven Zugriff auf suizidtaugliche Mittel (wie das Barbiturat Natrium-Pentobarbital) Paniksuizide oder Gefährdung und psychische Belastungen Dritter (wie Zugführer) nicht minimiert werden. 

Da gem. Art. 1 GG Würde und Würde-Empfinden der betroffenen Patienten den verfassungsrechtlichen Rahmen abstecken, gilt die Kritik von Prof. Verrel hinsichtlich des „nicht immer konsequent beachteten Selbstbestimmungsrechts“ auch hier. Dem Gesetzgeber kommt beim Schutz des Lebens ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Er wäre jedoch, so Prof. Hufen, nicht gehindert, die Strafbarkeit aktiver (direkter) Sterbehilfe „für solche - strikt eingegrenzten - Fälle aufzuheben, in denen zum Beispiel ein Todkranker sie ohne äußeren Druck und bei vollem Bewusstsein verlangt.“ (Hufen, Friedhelm: „In dubio pro dignitate. Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens“, NJW 12/2001, S. 855). Wer von eigener Hand nicht mehr einen mit der persönlich empfundenen Würde unvereinbaren Sterbeprozess abkürzen kann, darf nicht schlechter gestellt werden als Patienten, die dies noch können, sei es mit oder ohne Beihilfe (Gleichbehandlungsgrundsatz). 

Eine aktive (direkte) Sterbehilfe, d. h. eine auf die Abkürzung eines Leidenszustandes zielende Tötung, bei der die Tatherrschaft nicht beim unheilbar Kranken selbst, sondern bei einem anderen liegt, sollte nach Auffassung der DGHS nur in seltenen Extremfällen rechtlich erlaubt sein. Für diese Extremfälle (ULTIMA RATIO) ist ein Regelungskatalog wünschenswert, der gesetzlich verankert wird (STERBEBEGLEITUNGSGESETZ). 

Quellen u.a. 

Rechtspolitische Leitsätze und Vorschläge der DGHS zu einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe und -begleitung. In: Wiesing, Urban (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Stuttgart 2000, S. 231 - 236 

Rechtspolitische Leitsätze der DGHS zu Patientenverfügungen und Sterbehilfe. In: DGHS (Hrsg.): Humanes Leben - Humanes Sterben (HLS) 2/2004, Rubrik "Sittengesetz und Menschenwürde", S. 42 - 45 (auch im Sonderdruck).

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