Der Tod als Therapieziel?

Der Bundesärztekammerpräsident und die Justizministerin zum Ergebnis der Arbeitsgruppe "Autonomie am Lebensende" (Abschlussbericht der "Kutzer-Kommission")

Die DGHS plädiert gegen eine Verschleierung der Grauzonen in Deutschland
(dgpd Augsburg) Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) kritisiert scharf die Tendenz-Euthanasie in Deutschland, damit verbundene beschönigende Begriffe und die anhaltenden Gefahren berufsständischer Egoismen wie folgt:

1. Verwendung der Begriffe

Wenn sich die Bundesjustizministerin Zypries gegen die aktive Sterbehilfe wendet, verkennt sie, dass auch die sog. "indirekte Sterbehilfe", die auf breiter Basis in Deutschland Realität ist, eine Form der aktiven Sterbehilfe ist. Begrifflich gilt es zu unterscheiden zwischen einer

  • aktiven direkten Sterbehilfe und einer 
  • aktiven indirekten Sterbehilfe.

[Quellen: Laufs/Uhlenbruck: Handbuch des Arztrechts. 3. Aufl. München 2002, S. 1 379 f.); Zentrum für Medizinische Ethik, Heft 77, September 1922, S. 12; Nussbaum, Anja: The Right do Die. Die rechtliche Problematik der Sterbehilfe in den USA und ihre Bedeutung für die Reformdiskussion in Deutschland. Berlin 2000].

Bei beiden Sterbehilfeformen liegt i.d.R. die Tatherrschaft beim Arzt, wobei es in beiden Fällen darauf ankommt, ob diese Tatherrschaft mit, ohne oder gar gegen den Patientenwillen ausgeübt wird. Die straf- und zivilrechtlichen Folgen zu präzisieren wäre Aufgabe eines umfassenden Gesetzesentwurfs des Justizministeriums - schon vor Jahren. Stattdessen wurde wieder einmal mit Kommissionsberichten auf Zeit gespielt, noch dazu mit einer unausgewogen besetzten Kommission, die dem Willensbildungsprozess der Bevölkerung nicht gerecht wurde.

2. Leben wir noch im Stände-Staat?

Die kirchennah argumentierende SZ-Journalistin Heidrun Graupner verweist (SZ 11.06.04) auf den Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, wonach die Arbeitsgruppe (Kutzer-Kommission) nicht verstanden habe, dass es bei der Sterbebegleitung auf das Therapieziel ankomme, das in der letzten Lebensphase nicht mehr der Lebenserhaltung um jeden Preis diene. Geht es nach den neuesten Grundsätzen der Bundesärztekammer (vgl. u.a. Deutsches Ärzteblatt 14.05.04, B 1151) und nach dem kontrovers diskutierten BGH-Beschluss vom 17. März 2003 (XII ZB 2/03), behalten die Ärzte in vielen Fällen das Sagen; dann nämlich, wenn sie über das Therapieziel befinden (Entscheidungshoheit); zumindest sprechen viele Äußerungen der Ärzte-Funktionäre diese Sprache. Schützenhilfe erhielten diese Berufsstands-Denker der Ärzteschaft durch den BGH: Für "eine lebensverlängernde oder "erhaltende Behandlung" sei - so der Bundesgerichtshof - "kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird - sei es, dass sie n a c h A u f f a s s u n g d e r b e h a n d e l n d e n Ä r z t e von vornherein nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist" (BGH-Beschluss 17.03.2003, S. 24, Sperrung DGHS).

3. Kein Wort von einer Patientenverfügung zur Lebenserhaltung (in Deutschland)

Die DGHS verwahrt sich gegen diese Form der Fremdbestimmung und erinnert an die DGHS-Befürchtungen einer <geldbeutel-pseudo-"euthanasie">, die interessierten Kreisen gelegen kommt in Zeiten knapper werdender Gelder im Gesundheitswesen: "Dann wird eben einfach eine lebenserhaltende Therapie nicht mehr angeboten, der Patient einem Hospiz zugeschoben und der Tod ist dann das eigentliche Therapieziel" - so DGHS- Präsident Wichmann. "Offiziell wird von "Selbstbestimmung" gesprochen, in Wirklichkeit kann der Patient nur sehr, sehr eingeschränkt bestimmen, weil ihm z.B. die Alternative des lebenserhaltenden Therapieziels oder die Alternative einer von ihm gewünschten Abkürzung des Sterbeprozesses nicht vom Gesetzgeber so angeboten wird, dass der Patientenwille zügig durchsetzbar ist. "Soll", so Wichmann, "die Lobby der Ärztefunktionäre und Pharmaindustrie weiterhin hofiert werden - statt den Patienten und sterbenden Bürger und dessen Willen im Zentrum der Entscheidungshoheit zu sehen?"</geldbeutel-pseudo-"euthanasie">

Schon auf Grund dieser Befürchtungen steuert die DGHS mit ihrem breiten Angebot gegen diesen Trend, u.a. mit dem

  • Patientenschutzbrief zur lebenserhaltenden Therapie und, je nach Patientenwille,
  • dem Patientenschutzbrief zum Behandlungsabbruch, zu (aktiver) indirekter Sterbehilfe/Schmerztherapie und zur passiven Sterbehilfe.

Es gibt also auch in Deutschland (einziger Anbieter: DGHS) Patientenverfügungen, in denen Patienten ihren Wunsch zum Lebenserhalt ausdrücken können (veröffentlicht in: Jacobi/May/ Kielstein/Bienwald (Hrsg.): Ratgeber Patientenverfügung. Münster 2001, S. 68 - 71), weil Bürger hier Angst haben, dass ihr Lebensende aus ärztlichem Gutdünken festgelegt wird. DGHS-Präsident Wichmann: "Unsere verfassungsrechtlichen Grundsätze werden missachtet, wenn es am Arzt liegt, keinen Sinn mehr im Leben eines Patienen zu sehen, wenn er dieses Leben als "sinnlos" abqualifizieren kann und der Wille des Patienten außen vor bleibt."

4. Kein Wort von den aktuellen Grauzonen und Tötungen in Deutschland

Die SZ-Reporterin Graupner behauptet einseitig, manche Niederländer trügen "inzwischen Patientenverfügungen mit sich, in denen sie erklärten, dass sie in keinem Fall getötet werden wollen."

Folgende Beispiel-Fragen können erkenntnisleitend sein:

  • Soll mit Blick auf die Niederlande und deren offene Informationspolitik von den Missständen fremdbestimmter Patientenbevormundung in Deutschland abgelenkt werden?
  • Soll über den Umstand hinweggetäuscht werden, dass mit dem Entzug von Nahrung oder Antibiotika o h n e Prüfung des Patientenwillens eine neue, von der Krankheit unabhängige Kausalität in Gang gesetzt wird, und dass diese, nicht die Krankheit, zum Tod führt? (Vgl. hierzu analog Merkel, Reinhard: Früheuthanasie. Baden-Baden 2001, S. 332 f.).

Die Argumentation mancher Medien und Kommentatoren, wonach die Grauzonen größer werden würden, gäbe es eine umfassende gesetzliche Regelung der Sterbehilfe - wie von der DGHS seit langem gefordert - trifft nicht zu. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Gesetzliche Regelungen im Nord-Territorium von Australien und in Oregon/USA beweisen dies; es kommt darüber hinaus auf die Qualität des Gesetzes an, nicht auf die kritisierten Fälle in den Niederlanden, die im übrigen außerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Normen lagen.

5. Euphemisierende Begriffsverwendung statt Fakten

Deshalb kritisiert die DGHS auch die Begriffsverwendung in Deutschland als Heuchelei. Wer, wie die Bundesärztekammer, "Sterbehilfe" und "Euthanasie" ablehnt, sollte sich der eigenen Verlautbarungen erinnern, die früher den Begriff der "Sterbehilfe" wie den heute euphemisierenden der "Sterbebegleitung" verwandten. In Deutschland wird, auch von Ärzten, aktiv getötet, in Grauzonen; es wird von Ärzten Behandlungsabbruch verfügt (auch mit Todesfolge) ohne dass die Patienten gefragt werden. Die Grauzonen liegen hier, nicht in vermeintlichen Gefahren einer umfassenden gesetzlichen Regelung.

Wichmann: "Wenn ein Rechtsstaat in diesem existentiellen Bereich Gesetze scheut, die das Selbstbestimmungsrecht und die fortwirkende Entscheidung von Patienten durchsetzen könnten, errichtet der Gesetzgeber durch Unterlassungen Mauern.

6. Die Verzögerungs-Taktik der verantwortlichen Politiker

Die Verzögerungs-Taktik in diesem sensiblen Themenbereich ist nicht neu. Noch nie gab es im Bundestag eine öffentliche Debatte zu diesem Thema. Mit großem Geschick werden die Themen der jeweils nächsten Legislaturperiode überantwortet. Ein typisches Beispiel: So schrieb die FDP-Bundestagsfraktion an den DGHS-Geschäftsführer am 14. August 1980: "Die F.D.P. hält es für notwendig, dass sich der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode mit diesem Thema auch gesetzgeberisch auseinandersetzt. Die Umfragen in der Bevölkerung zu diesem Thema zeigen, dass das Parlament dringend zu einer Beschlussfassung aufgefordert wird."

Ähnliche Seifenblasen sind Schema-F einer Abqualifikation des Mehrheitswillens der Bevölkerung; doch auch, wenn es sich lediglich um eine Minderheit von Bürgern handeln würde, die für sich das Recht, ein Leiden abzukürzen, einfordern. Das Minderheitenrecht, für das sich Politiker in Drittstaaten einsetzen, für das Parteien aller Couleur auch in Deutschland plädieren, wird hier mit Füßen getreten. Es bleibt wahrscheinlicher, dass die Bundesregierung die Rechte Gleichgeschlechtlicher auf Adoption eines "Nachwuchses" stärkt als dass die Menschenrechte Sterbender gegen Bevormundung auf breite, solide und zügig durchsetzbare Gesetze gestellt werden. "Kommissionsarbeiten", so DGHS-Präsident Wichmann, tendieren zur Gartenlauben-Diskussion."

7. Jeder einzelne Bürger hat das Recht auf Selbstbestimmung

Selbst die Deutsche Hospizstiftung (DHS), eine Gründung des Malteser Ordens, räumte in ihrer Presse-Erklärung vom 8. Juni 2004 ein, dass es leidende Patienten gibt, die "gegen jegliche Schmerzmittel resistent" sind. Ärzten, die mit Sterbenden zu tun haben, kennen die Wirklichkeit unsäglichen Leidens in immer wieder neuen Einzelfällen. Es gibt Patienten mit Krebs der Bauchspeicheldrüse, die im Endstadium Kot hochwürgen. Hier sind es dann nicht einmal die Schmerzen, sondern das mit diesen Wirklichkeiten verbundene Gefühl betroffener Patienten, einem für sie als unwürdig empfundenen Prozess ausgesetzt zu werden, unabhängig davon, ob sie dann sediert werden oder nicht.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt jedem Individuum gemäß Artikel 1 die Zusicherung, dass der Staat die Würde des Menschen achtet und schützt. De facto tut der Staat dies in vielen Einzelfällen nicht.