„Auch jetziges Verfahren widerspricht bereits dem Selbstbestimmungsrecht“

DGHS-Präsident zur aktuellen Organspende-Diskussion

In der aktuellen Diskussion um eine mögliche Einführung einer Widerspruchs-Lösung bei der Organspende verweist DGHS-Präsident Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher auf das eigentliche Haupthindernis, weswegen nur geringe Mengen von transplantationsfähigen Organen zur Verfügung stehen: Die geringe Bereitschaft deutscher Kliniken, potenzielle Organspender/-innen zu melden.  
Ein gravierender Faktor sind die institutionellen Hindernisse. Der DGHS-Präsident zieht dafür den Vergleich zu  Spanien: „Die Transplantationsbeauftragen der Krankenhäuser sind in Spanien, dem Land mit der höchsten Zahl an Organspenden pro Kopf, Intensivmediziner, die für ihre Tätigkeit eigens freigestellt werden. Die finanziellen Anreize für die Krankenhäuser, Organspenden vorzunehmen, sind durchweg höher als in Deutschland, wo die Belastungen, die eine Organentnahme für die Logistik eines Krankhauses bedeutet (etwa die Entnahme in den Nachtstunden) unvollständig finanziell abgedeckt sind. Nicht zuletzt wirkt sich aus, dass in Deutschland sehr viel mehr  Krankenhäuser an der Entnahmepraxis beteiligt sind als in Spanien, wo es nur 186 Entnahmekliniken gibt, im Gegensatz zu 1326 in Deutschland  (Schultze/Wondratschka 2016). Die Folge ist, dass in einem durchschnittlichen Krankenhaus Organentnahmen nur selten vorkommen und dann eher als Störungen des Routinebetriebs  empfunden werden – einer der Gründe dafür, dass potenzielle Spender häufig nicht gemeldet werden, obwohl die Kliniken nach § 9 Abs. 2 TPG gesetzlich dazu verpflichtet sind. So hatten sich im Jahr 2005 nur 45 Prozent der deutschen Krankenhäuser mit Intensivstationen an der Organspende beteiligt (Nationaler Ethikrat 2007, 20).“
Birnbacher führt zum geltenden Organspende-Verfahren in Deutschland aus: „Die gegenwärtig geltende „Erklärungsregelung“ ist m. E. allerdings auch erheblich selbstbestimmungswidrig – sogar noch  selbstbestimmungswidriger als die Widerspruchsregelung, da diese lediglich Maßnahmen nach dem Lebensende betrifft, von denen der Erklärende subjektiv nicht mehr betroffen ist. Sie erwartet nämlich von jedermann, dass er sich mit der Problematik auseinandersetzt. Das dürfte von vielen als Zumutung empfunden werden, auch wenn sie sich nicht zwangsweise entscheiden müssen.
Bei der Einführung der „Erklärungsregelung“ ist sorgfältig darauf Wert gelegt worden, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu respektieren. Erstens soll die Information über die Organspende-Möglichkeit ergebnisoffen sein. Zweitens soll niemand auf eine Entscheidung verpflichtet werden. Indem ihm freigestellt wird, sich zu entscheiden oder nicht zu entschei-den, wird nicht nur darauf verzichtet, ihm eine Entscheidung aufzuzwingen; ihm wird auch keine Überlegung im Vorfeld einer Entscheidung aufgezwungen, d. h. er kann die Information auch ignorieren und davon Abstand nehmen, sich auf den Gedanken an seinen ei-genen Tod einzulassen. Unvermeidlich ist dennoch, dass von der bloßen Tatsache, dass er auf die Möglichkeiten einer Organspende angesprochen wird, ein moralischer Druck ausgeht, vergleichbar dem, der von Spenden-Bittbriefen für andere gute Zwecke ausgeht. In diesem Fall ist der Druck sogar um einiges ausgeprägter, da für die Organspende nicht nur von bestimmten Bürgergruppen und Organisationen geworben wird, sondern sich auch staatliche Instanzen und nachgeordnete Behörden wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mehr oder weniger eindeutig hinter den Aufruf zur Organspende gestellt haben. 
Der Empfänger der Information weiß, dass die Informationsaktion nicht unternommen worden ist, um ihm eine Verweigerung der Organspende zu ermöglichen, sondern um das Aufkommen an Spenderorganen zu erhöhen. Deshalb wird seine Reaktion auf diese Information häufig ambivalent ausfallen. Da er die Absicht spürt, ist er nicht nur möglicherweise verstimmt (sofern er sich nicht bereits als Spender erklärt hat), sondern wird vielfach auch mit psychischem Widerstand gegen das Ansinnen reagieren und das Informationsmaterial – um sich die Beschämung einer Verweigerung oder Manifestation von Gleichgültigkeit zu ersparen – dem Papierkorb überantworten. Aufforderungen zum Altruismus bergen psychologisch stets die Gefahr der emotionalen Abwehr.“

Birnbacher bringt es so auf den Punkt: „Man möchte gut sein, aber nicht dazu aufgefordert werden.“,

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