(dgpd Augsburg) Die Ergebnisse der Berliner Studie sind ein (weiteres) Alarm-Signal für die oft menschenunwürdigen Zustände im Pflegealltag. Aber sie unterstreichen auch einmal mehr - unabhängig von Pflegefragen - die Bedeutung der individuell verstandenen Menschenwürde im Alter. Das Institut für Rechtsmedizin an der FU/Berliner Charité untersuchte Suizidmotive bei 130 Seniorinnen und Senioren zwischen 65 und 95 Jahren. Fast alle Verstorbenen hatten demnach direkt oder indirekt in Abschiedsbriefen angegeben, sie hätten sich aus Angst vor schlechter Behandlung im Pflegeheim getötet. Das "entscheidende Motiv" für die Selbsttötung, so Studienleiter Dr. Peter Klostermann, war jedoch "Angst vor absoluter Hilflosigkeit und unwürdigem Weiterleben".
Die Zustände in nicht wenigen Altenheimen sind alles andere als menschenwürdig und human, wenn die "Satt-sauber-trocken"-Pflege im Minutentakt im Mittelpunkt steht. Die auch für das Personal häufig sehr belastenden Bedingungen, die ein individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse und den Zeittakt des einzelnen alten Menschen verhindern, sind skandalös, wie die DGHS schon vor Jahren feststellte. Ängste vor schlechter Behandlung, bei Kosten von z.B. mehr als 5.000 Euro monatlich, können durchaus eine realistische Grundlage haben. Menschenunwürdige Bedingungen im Altenpflegebereich müssen indes nicht sein: Pflegeexperten weisen immer wieder hin, dass Gelder umgeschichtet und umverteilt werden müssten.
Aber die Furcht, entmündigt und entrechtet zu werden, hat nicht nur mit dem System Pflegeheim zu tun. Wer je ein Altenheim besucht hat, kennt die Bilder von alten Menschen, denen ein personales Dasein nicht mehr möglich ist - auch unabhängig von der Frage, wie gut sie pflegerisch versorgt werden. Zwar lassen sich Verfall und Siechtum durch mehr persönliche Ansprache, Zuwendung, Aktivität und z.B. die Übertragung von kleinen Aufgaben und Verantwortlichkeiten hinauszögern. Doch auf Dauer sind sie nicht aufzuhalten. Auch eine noch so gute Pflege kann deshalb die Angst vor einem Verlust der individuell empfundenen Menschenwürde, vor einem realen Verlust der Möglichkeiten eines eigenständigen und selbstbestimmten Daseins, wie es sich der Betroffene wünscht und vorstellt, nicht beseitigen. Fakt ist, dass mit zunehmendem höheren Lebensalter Abbau- und Verfallsprozesse die geistig-seelischen und körperlichen Fähigkeiten immer weiter einschränken.
"Wir müssen alles Erdenkliche tun, um die Lebensbedingungen im Alter und in den Heimen zu verbessern. Wenn Menschen aber dennoch nach reiflicher Überlegung sagen, sie wollen diese Abbauprozesse nicht erleben, müssen wir auch das respektieren", stellt DGHS-Präsident Karlheinz Wichmann fest. Das Thema Suizid wird nach wie vor tabuisiert und verhindert so, dass es überhaupt zu einem Gespräch über den Sterbewunsch kommt. Manche Hilfsangebote erreichen deshalb die Adressaten erst gar nicht.
Die Ergebnisse der Berliner Studie lassen sich weder verallgemeinern noch auf das Bundesgebiet beziehen: Gut zwei Drittel der Suizidenten in 2002 waren männlich. Das Durchschnittsalter der Männer lag bei 52,6 Jahren (Frauen: 59,1). Mithin töten sich bundesweit die meisten Menschen keineswegs in einem Alter, in dem der Umzug in ein Altenheim droht.