Die Entscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 2. April 2019 setzt in ihrer Urteilsbegründung ein fatales Zeichen in Richtung Ärzteschaft. Sie konterkariert eine seit nunmehr 30 Jahren gefestigte Rechtsprechung. „Die Entwicklung des Medizinrechts wird geradezu auf den Kopf gestellt“, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS e. V.) Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher.
Der BGH kassierte eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes München, nach der der hinterbliebene Sohn eines verstorbenen Patienten Schmerzensgeld in Höhe von 40 000 € wegen Verletzung der Aufklärungspflicht zugesprochen bekam. Die künstliche Ernährung des verstorbenen Mannes sei eine sinnlose Lebensverlängerung von mindestens 9 Jahren gewesen, die durch den Hausarzt hätte beendet werden müssen – durch das Zulassen des Sterbens.
Die Entscheidung des BGH, nun doch dem Arzt Recht zu geben, mag diskutabel sein, zumal weder eine Patientenverfügung vorlag, noch der eindeutige Willen des Patienten bezüglich der Magensonde. Die Urteilsbegründung jedoch ist höchst bedenklich und lässt die Entscheidung als regelrechtes Fehlurteil dastehen: „Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltenswürdig“, so der BGH.
Es ging aber in dem hier entschiedenen Fall nicht um die Verlängerung des Lebens schlechthin, sondern um eine damit einhergehende Verlängerung des Leidens, mithin um eine Entscheidung, die sich nicht am Wohl des Patienten, sondern ausschließlich an der physischen Verlängerung seines Lebens orientiert hat. „Die Ärzteschaft könnte dies so verstehen, dass man, wenn man das Leben eines Menschen nur rein physisch verlängert, immer auf der richtigen Seite ist. Es gibt jedoch kein ethisches Prinzip, menschliches Leben unabhängig vom Wohl des Patienten zu erhalten“, kommentiert Prof. Robert Roßbruch, Vizepräsident der DGHS und Honorarprofessor für Gesundheits- und Pflegerecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
Eine ärztliche Behandlung hat den Zweck, dem Patienten etwas Gutes zu tun. „Es ist sogar ein malum, wenn der Patient das Weiterleben mit schwerem Leiden bezahlt. Auch wenn die Bedenken verständlich sind, dieses malum in Geldwert auszudrücken – es ist ein beträchtlicher immaterieller Schaden, der dem Patienten zugefügt wird“, so Birnbacher.
Medizinrechtler Wolfgang Putz hat angekündigt, gegen die Entscheidung des BGH Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.
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