von DGHS-Vizepräsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher
Die DGHS trauert um einen der prominentesten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, der sich wiederholt und nachdrücklich für die Freiheit des Menschen zu einem selbstbestimmten Sterben bekannte. Für die DGHS war Hans Küng bis in seine letzten Lebensjahre hinein ein guter Freund, der regelmäßig Kontakt hielt und die Arbeit der Gesellschaft wohlwollend begleitete.
Hans Küng war ein außergewöhnlicher katholischer Theologe. Er entsprach nur wenig den Erwartungen, die sich mit diesem Berufsstand verbinden. Er war ein „Mann von Welt“, der sich in der Welt der Mächtigen der Staaten und Religionsgemeinschaften bewegte und dem es um den Frieden in der Welt mehr als um den Frieden mit Gott ging. Seine Theologie war eher zukunfts- als vergangenheitsorientiert und inspiriert von weltlich-menschlichen Bedürfnissen – nach Sinnfindung, Orientierung, Schutz und Tröstung im Leiden. Sein Rebellentum richtete sich deshalb nicht generell gegen alle Dogmen und Autoritäten. Es richtete sich auf genau diejenigen, die ihre Orientierungsfunktion seit langem eingebüßt haben, weil sie in eine von der Aufklärung und der Idee der Demokratie geprägte Zeit nicht mehr passen.
Zu diesen Dogmen zählt das bis heute von der Amtskirche aufrechterhaltene Dogma von der Unverfügbarkeit des eigenen Todes und der Unzulässigkeit jeder aktiven Form von Sterbehilfe. Mit diesem Dogma hat sich Hans Küng in mehr als einer Phase seines Denkens und Schaffens auseinandergesetzt – das erste Mal in Vorlesungen von 1981, veröffentlicht unter dem Titel Ewiges Leben?, dann in seinem Beitrag zu dem zusammen mit Walter Jens veröffentlichten Band Menschenwürdig sterben von 1995, schließlich im Schlusskapitel seines letzten, die Summe seines Lebensrückblicks ziehenden Erinnerungsbandes Erlebte Menschlichkeit. Als „Theologe und Christenmensch“, so formulierte er in einer seiner letzten Stellungnahmen zur Frage des selbstbestimmten Sterbens, sei für ihn das Leben zwar eine Gabe Gottes. Aber damit sei es zugleich „in unsere verantwortliche Verfügung gegeben“. Niemand solle zum Sterben gedrängt, aber auch niemand zum Leben gezwungen werden.
Außergewöhnlich war Hans Küng vor allem dadurch, dass er nicht nur zu den vielen Theologen gehörte, die mit den Dogmen der Kirche hadern, der sie gleichwohl loyal verbunden bleiben, sondern dass er zu den wenigen gehörte, die dies in aller Öffentlichkeit taten und es dabei auch auf den Bruch mit der Kurie ankommen ließen. Mut und Unabhängigkeit bewies er nicht zuletzt in seinen zahleichen öffentlichen Auftritten. Allen, die bei einem oder mehreren dabei waren, wird Hans Küng als glänzender Redner in Erinnerung bleiben. Selten war er allerdings so überzeugend und authentisch wie dann, wenn er, der das qualvolle Sterben seines früh verstorbenen Bruders Georg miterlebt hatte, für ein selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Sterben eintrat.